Digitale Diagnostik im ambulanten Sektor – und warum sie noch nicht bei uns ankommt

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Dr. Lena Kieseler ist Expertin für Digital Health. Sie ist promovierte Organisationspsychologin und kennt die Chancen und Herausforderungen des Digital- Health-Marktes sowohl aus der internen Perspektive großer Kostenträger als auch junger Tech- Unternehmen. Diese seltene Kombination ermöglicht der Unternehmensberaterin von Flying Health eine fundierte und ganzheitliche Betrachtung des Marktgeschehens im Bereich digitaler Innovationen.

Autorin

In der Diagnostik ist im Vergleich zu anderen Bereichen des Gesundheitswesens in den vergangenen Jahren noch wenig Digitalisierung und Innovation zu verzeichnen. Ein Grund dafür ist, dass die bisherigen Marktzugangswege für digitale Diagnostik nicht optimal sind. Auch der neue DiGA Fast Track ermöglichte bislang keiner diagnostischen Lösung den Weg in die Versorgung. Dabei hängt der Erfolg einer Therapie maßgeblich von der Diagnostik ab -sowohl im Kontext einer Erstdiagnose als auch im langfristigen Monitoring chronischer Erkrankungen. Optimale Therapieentscheidungen fußen auf aussagekräftigen und exakten Daten. Hier liegen die Kernaufgabe und das Potential digitaler Diagnostik. In diesem Paper werden Vorschläge und Möglichkeiten skizziert, den DiGA Fast Track so auszurichten, dass das Innovationspotential diagnostischer DiGA nutzbar wird. Folgende Optionen werden identifiziert und erörtert: Aufsplittung des DiGA Fast Tracks in einen Fast Track für diagnostische DiGAs und einen Fast Track für therapeutische DiGAs mit individuellen Regularien:

  • Ermöglichung einer aktiven Einbindung des Leistungserbringers in der Nutzung und Zweckerfüllung diagnostischer DiGA

  • Bewertung diagnostischer DiGAs anhand ihrer diagnostischen Güte (z. B. anhand der Anforderungen an Validitätsstudien des IQWIGs)

  • Ermöglichung der Nutzung diagnostischer DiGAs zur Erstdiagnostik

  • Definition und Spezifizierung möglicherweise kombinierbarer Hardware

Abstract

Mit trockenem Husten und Abgeschlagenheit sucht Barbara S. im Frühling ihren Hausarzt auf. Der Coronatest ist negativ; er diagnostiziert eine leichte Pollenallergie und verordnet ein Antiallergikum. Da keine Besserung eintritt, folgt nach einigen Monaten eine Überweisung zu einer Lungenfachärztin. Doch auch diese ist aufgrund der unspezifischen Hustensymptomatik unschlüssig, welche Therapie passend ist. Nach vielen Wochen Wartezeit und vielen weiteren Schleifen mit der Ärztin und einem Radiologen, erhält Barbara erst nach 11 Monaten die finale, schockierende Diagnose. Sie leidet unter einem Non- Hodgkin-Lymphom in fortgeschrittenem Stadium, einer bösartigen Krebserkrankung des Lymphgewebes. Der Tumor im Oberkörper bereits so groß, dass er den Lungenrand gelegentlich berührt und den Husten auslöst. Die Überweisung in die stationäre Behandlung erfolgt umgehend, doch die Chemo-Therapie kommt einige Wochen zu spät. Barbara verstirbt mit 53 Jahren.

Wenige Jahre später sitzt der Programmierer Martin T. in seinem Büro. Sein Vater leidet seit Jahren unter COPD, einer chronischen Lungenerkrankung mit Hustensymptomen. Kann man die Verschlimmerungen nicht durch moderne Technik schon vorher erkennen und verhindern, hatte Martin den behandelnden Facharzt verzweifelt gefragt. Nein, sagt der Pneumologe, Husten ist schwierig, da könne man diagnostisch wenig machen - obwohl es theoretisch möglich wäre. Martin horcht auf. Er spricht mit Wissenschaftlern und Ärzten, investiert sein gesamtes Vermögen und sucht Investoren. Er entwickelt eine Lösung, welche Hustengeräusche rund um die Uhr trackt und mithilfe eines Algorithmus genaue und indikationsspezifische Hustenmuster ermittelt. Der Prototyp funktioniert, die beratenden Lungenärzte sind begeistert. Doch eine solche Entwicklung kostet viel Zeit und Geld. Immer wieder sitzt der Unternehmer mit seinem Team und den medizinischen Beratern am Tisch. Wann und wie kann der Algorithmus in der Versorgung genutzt werden? Man weiß es nicht, sagt Martin. Der Marktzugang für Diagnostik mit intelligenten Algorithmen sei in Deutschland schlecht planbar. Eventuell dauert es bis zu fünf Jahre und welche Preise dann gezahlt werden, sei unklar. Und somit auch, ob es für die Husten-KI, die sowohl im Therapiemonitoring von Asthma oder COPD als auch in der Krebsdiagnostik lebensrettend sein könnte, weiter geht.

Die beiden hier angeführten Beispiele sind real und spiegeln am Beispiel der Symptomatik Husten aktuelle Schwierigkeiten in der Diagnostik wieder. Während viele Bereiche der ambulanten Versorgung zunehmend modernisiert und digitalisiert werden, fällt auf, dass kaum digitale, diagnostische Innovationen bekannt werden. Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren politisch stark getrieben und viele Veränderungen angestoßen. Mit der kürzlich veröffentlichten Digitalisierungsstrategie (Bundesministerium für Gesundheit, 2023) wird deutlich, dass dieser Prozess weiter voranschreiten und auch politisch gefördert wird. Für viele wichtige Handlungsfelder, wie zum Beispiel die elektronische Patientenakte oder die Nutzung von Gesundheitsdaten, wurden klare strategische Ziele formuliert. Auch die Diagnostik wird in der Strategie aufgegriffen.

In diesem Papier sollen deshalb Ideen und Möglichkeiten zur politischen Umsetzung der, in der Digitalisierungsstrategie genannten, Ziele für die digitale Diagnostik skizziert werden. Hierzu wird zunächst das derzeitige Problemfeld und der regulatorische Status Quo digitaler diagnostischer Methoden beschrieben. Abschließend werden konkrete Ansätze bezüglich des Marktzuganges digitaler diagnostischer Methoden sowie zu den Vorteilen ihrer Nutzung in der ambulanten Versorgungspraxis skizziert.

Einleitung

Viele diagnostische Methoden mit digitalen Komponenten, wie zum Beispiel bildgebende Verfahren, sind bereits gut in der ambulanten Versorgung etabliert und bekannt. In den letzten Jahren haben sich auch anderweitige, neue digitale diagnostische Lösungen herausgebildet. Aktuell finden diese, wie am einleitenden Praxisbeispiel verdeutlicht, noch selten einen Weg in die Versorgung. Dazu gehören vor allem folgende Produktgruppen, welche in diesem Papier unter digitaler Diagnostik gefasst werden:

  1. Digitale Diagnostik (z. B. app- und webbasierte kognitive Tests zur Diagnostik von Demenz oder diagnostische Algorithmen, wie z. B. der eingangs beschriebene Hustenanalyse-Algorithmus); ggf. in Kombination mit entsprechender Hardware.

  2. Kombinationen aus digitaler und In-Vitro-Diagnostik (wie beispielsweise App und zugehörige At-Home-Testkits mit beispielsweise Urinstreifen zum Monitoring der Nierenfunktion).

Aktuelle Herausforderungen und Status Quo digitaler Diagnostik

Innovative, digitale diagnostische Lösungen werden bislang kaum in der ambulanten Regelversorgung eingesetzt, obwohl sie akute Versorgungslücken schließen und –probleme lösen könnten. Das liegt auch daran, dass noch keine adäquaten Marktzugangswege für moderne Ansätze bestehen, wie weiter unten noch genauer erläutert wird. Leistungserbringer müssen, trotz gegebenenfalls besserer und effizienterer Lösungen, etablierte Standardverfahren anwenden.

Auf diese Weise werden mehrere wichtige Chancen vertan: Digitale Diagnostik ermöglicht in vielen Fällen eine bessere Versorgung für die Patienten. Auch Versorgungslücken, die bislang noch gänzlich blinde, diagnostische Flecken darstellen, könnten (wie am Beispiel Husten eingangs veranschaulicht) durch innovative, digitale Lösungen geschlossen werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist es nahezu unabdingbar, bereits heute skalierbare, digitale diagnostische Methoden in die Versorgung zu integrieren, um personelle und finanzielle Einsparpotentiale zu nutzen. Digitalisierung von Diagnostik kann viele Schritte in den Versorgungspfaden erleichtern und optimieren. Vermehrte digitale Diagnostik böte zudem großes Potential, auch skeptische Leistungserbringer von digitalen Gesundheitsanwendungen („DiGA“) zu überzeugen. Digitale Diagnostik impliziert eine Stärkung ärztlicher Kernkompetenzen und ermöglicht schnelle und/oder bessere Therapieentscheidungen. Gleichzeitig wird, neben dem Innovationspotential, auch das finanzielle Potential diagnostischer Lösungen noch nicht abgerufen. McKinsey (2022) errechnete, dass rund 6,4 Milliarden Euro Potential im Feld datengestützter Entscheidungen liegen und noch einmal weitere 1,4 Milliarden Euro in der Patientenselbstbehandlung, zu der auch appbegleitete In-Vitro-Diagnostik gehört. Derzeit nutzt Deutschland weder das enorme finanzielle Einsparpotential, noch bietet die regulatorische Situation attraktive Marktbedingungen für innovative Digital-Diagnostics-Firmen.

Mehrwert digitaler Diagnostik

Aktuell bestehen in erster Linie drei verschiedene Möglichkeiten digitale, diagnostische Lösungen in die Versorgung zu bringen (s. Abb. 1).

Gesetzliche Krankenversicherungen (GKV) können digitale Diagnostik im Rahmen von speziellen Versorgungsverträgen, sog. Selektivverträgen, erstatten. Selektivverträge sind nicht als Regelversorgung deklariert, sondern fallen unter „besondere Versorgung“ (§ 140a SGB V). Die Lösungen stehen ausschließlich den eigenen Versicherten der Versicherung zur Verfügung und nicht allen Patienten. Für viele Leistungserbringer ist es jedoch oft nicht leistbar und praktikabel, jede kassenspezifische Einzellösung kennen zu lernen, so dass häufig nur wenige Patienten von solchen Verträgen profitieren.

Aus Anbietersicht sind Selektivverträge ein vergleichsweise niedrigschwelliger Marktzugang und auf den ersten Blick attraktiv. Langfristig betrachtet repräsentieren Selektivverträge leider nur selten ein auskömmliches Geschäftsmodell, da mit rund 96 Kassen individuell verhandelt werden müsste. Hinzukommt, dass selektivvertraglich angebotene Lösungen aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Kassen und Verträgen, von Fachärzten oft nur selten genutzt werden. Die Anwendung selektivvertraglich erstatteter, digitaler Diagnostik in der Versorgung bleibt somit sehr begrenzt.

Viele Digital-Diagnostics-Anbieter fokussieren sich, nach ersten Versuchen der selektivvertraglichen Erstattung, deshalb schnell auf kollektivvertragliche Erstattungswege ihrer Lösungen. Die Zulassung und kollektivvertragliche Erstattung neuer Untersuchungsmethoden ist bereits seit vielen Jahren über die bewährte Erprobung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) möglich (NUB-Verfahren). Im ambulanten Bereich gilt, dass neue Methoden erst dann als Teil der Regelversorgung gelten dürfen, wenn der G-BA sie als nutzbringend, notwendig und wirtschaftlich bewertet hat („Erlaubnisvorbehalt“; vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss, 2023). In der Regel wird das Verfahren der Nutzenbewertung in Folge einer Methodenbewertung (§ 135, Abs 1. SGB V für die vertragsärztliche Versorgung und § 25a SGB V für die Früherkennung von Krankheiten) angewandt. Ohne an dieser Stelle auf Details des komplexen Verfahrens eingehen zu wollen, kann festgehalten werden, dass dieser Marktzugangsweg für digitale diagnostische Lösungen ungeeignet ist. Es fehlen detaillierte Anforderungen an technische Spezifikationen und auch die Zulassungsgremien sind nicht auf die Bewertung von digitalen Lösungen ausgerichtet. Die teils mehrjährigen Zeitachsen bis zur finalen Bewertung durch den G-BA werden der schnelllebigen Welt technologischer Entwicklungen und Sicherheitsanforderungen nicht gerecht. Am Ende eines mehrjährigen Marktzugangsprozesses kann nicht mit planbaren Preisen kalkuliert werden, weshalb vor allem junge, internationale Firmen mit erfolgsversprechenden Lösungen derzeit andere Märkte bevorzugen.

Das G-BA-Verfahren bietet digitalen, diagnostischen Lösungen somit keine praktikablen Marktzugangschancen.

Auch die Politik hat diese Problematik erkannt und mit dem Digitale-Versorgung Gesetz (DVG) sowie der zugehörigen Rechtsverordnung (Digitale-Gesundheitsanwendungen- Verordnung; DIGAV; §139e, SGB V) eine innovationsfreundliche, gesetzliche Grundlage für die Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) geschaffen. Der neue Marktzugangsweg impliziert einen, spezifisch auf die Anforderungen digitaler Lösungen, angepassten Zulassungsprozess. Die Bewertung der Lösungen erfolgt durch ein digital qualifiziertes Expertenteam. Deutschland hat mit dem sog. DiGA-Fast Track international Aufmerksamkeit erregt und sich weltweit als Vorreiter digitaler Gesundheitsversorgung sowie als attraktiver Standort für innovative Gesundheitsunternehmen positioniert.

Als DiGA können alle Produkte erstattet werden, die a) einer medizinischen Zweckbestimmung unterliegen (CE-Kennzeichen), b) eine geringe Risikoklasse haben (derzeit I; IIa1), c) eine „digitale Hauptfunktion“, d) einen positiven Versorgungseffekt nachweisen und e) durch Patienten allein oder gemeinsam mit dem Leistungserbringer genutzt werden (vgl. Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020). Als DiGA werden explizit auch digitale Lösungen, die zur „Erkennung und Überwachung von Krankheiten“ dienen und diagnostisch angewandt werden, genannt (ebd., S. 15). Während das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen Stand heute bereits über 30 Lösungen zählt, fällt auf, dass ausschließlich therapeutische digitale Lösungen als DiGA gelistet wurden.

Marktzugangspfade für digitale Diagnostik

Dies hat verschiedene Gründe:

  1. Keine ausreichende Einbindung der Leistungserbringer möglich. Obwohl sich während der Corona-Pandemie (nicht zuletzt durch die häufige Selbst- Testung) der Point-of-Care in der Diagnostik etwas mehr in Richtung des Patienten verlagerte, spielt der Arzt in der Diagnostik eine relevante Rolle. Digitale Diagnostik stiftet besonders dann einen Mehrwert, wenn sie die ärztliche Entscheidungsfindung beschleunigt, unterstützt oder verbessert. Viele diagnostische Werkzeuge sind nicht von Patienten nicht selbst interpretierbar und zielen auf die ärztliche Therapieentscheidung und –anpassung ab. Der DiGA-Fast Track setzt jedoch voraus, dass die DiGA vor allem in der Anwendung durch den Patienten funktioniert. DiGAs sind digitale Lösungen in der Hand des Patienten. Leistungserbringer dürfen, gemäß des DiGA-Leitfadens, keine aktive oder alleinige Rolle in der DiGA-Nutzung spielen. Dies widerspricht in der Regel der der medizinischen Zweckbestimmung diagnostischer Lösungen.

  2. Keine Möglichkeit zur Erstdiagnostik. Ein weiteres Paradoxon für diagnostische Anwendungen im DiGA Fast Track liegt darin begründet, dass die Nutzung einer DiGA immer an einen ICD-Code, das heißt eine gesicherte Diagnose, gebunden ist. Ein diagnostisches Werkzeug, welches, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, zur Erkennung von Krankheiten dienen soll, kann diesen Zweck nicht erfüllen, wenn es gleichzeitig nicht zur Diagnosefindung eingesetzt werden darf.

  3. Keine klaren Anforderungen an die diagnostische Güte. Als letzter zentraler Grund für das Ausbleiben diagnostischer DiGAs kann angeführt werden, dass die Anforderungen an die diagnostische Güte (Validitätsnachweise) noch nicht konkret genug definiert wurden. Im Bereich der Diagnostik können nur schwer positive Versorgungseffekte als Nutzennachweis für ein Produkt herangezogen werden. Eindeutige Anforderungen für Validitätsnachweise diagnostischer DiGA sind jedoch bislang nicht definiert worden.

Obwohl der DiGA-Fast Track für digitale Lösungen durch seine konkrete Definition der Anforderungen an Nutzerfreundlichkeit, Informationssicherheit und Datenschutz, Robustheit oder Interoperabilität bereits eine Vielzahl wichtiger Grundlagen bereitstellt, ist er für die spezifischen Anforderungen digitaler Diagnostik noch nicht ausgereift. Der Fast Track stellt jedoch eine gute Grundlage dar, um den Marktzugang digitaler Diagnostik in der Zukunft möglich zu machen.

Bislang ist keine einzige diagnostische Lösung als DiGA verfügbar.

Für viele diagnostisch relevante Aspekte, wie zum Beispiel Datensicherheit, Interoperabilität usw., wurden in der DIGAV konkrete und wichtige Regelungen getroffen. Darüber hinaus fehlt jedoch noch die Ausgestaltung für diagnostische Lösungen unter Berücksichtigung der Unterschiede zu therapeutisch ausgerichteten DiGAs (Tx-DiGAs). Der folgende und letzte Abschnitt dieses Papiers behandelt deshalb konkrete Ansätze und Ideen zur politischen Weiterentwicklung des DiGA Fast Tracks, um das Verfahren auch für digitale Diagnostik (Dx-DiGAs) nutzbar zu machen.

Dx-DiGA und Tx-DiGA unterscheiden sich maßgeblich in ihrer medizinischen Zweckbestimmung und sind, wie das aktuelle DiGA-Verzeichnis verdeutlicht, nicht mit ein und demselben Verfahren und den gleichen Kriterien abdeckbar. Daraus leitet sich ab, dass es sinnvoll ist, auch im DiGA Fast Track zwischen Dx-DiGA und anderen DiGAs zu unterscheiden sowie den Fast Track entsprechend aufzusplitten (vgl. Abbildung 2).

  1. Im diagnostischen Kontext ist die Rolle des Leistungserbringers eine signifikant andere, als bei Tx-DiGAs. Ein Fast-Track für diagnostische DiGA könnte den Nutzen diagnostischer Lösungen stärker in die Versorgung einbringen; zum Beispiel in dem das Verfahren erlaubt, auch Leistungserbringer als aktive DiGA-Nutzer zu zählen (die Thematik entsprechender EBM-Ziffern müsste in diesem Kontext mitberücksichtigt werden). Diagnostik ist in vielen Behandlungsleitlinien sinnvollerweise bei den Ärzten angesiedelt. Moderne, digitale Lösungen ermöglichen, das ärztliche Wissen auch zukünftig effizient in die Versorgung einzubringen und die beste Therapieentscheidung treffen zu können. Dx-DiGA, welche die tägliche Arbeit der Ärzte aktiv unterstützen und ihren Alltag erleichtern, hätten zudem das Potential, die Akzeptanz digitaler Lösungen bei der Ärzteschaft deutlich zu steigern.

  2. Die Qualität und Nützlichkeit diagnostischer Lösungen werden durch ihre diagnostische Güte erfasst. Kriterien zur diagnostischen Güte und Validität sind bekannt, akzeptiert und haben sich seit Jahren bewährt. Auch für Dx-DiGA sollten klare Evidenzkriterien formuliert werden, welche der Zweckbestimmung des Produktes entsprechen. Als Vorlage könnte Kapitel 3.5 des Papiers „Allgemeine Methoden“ der IQWIG (2022) dienen, dessen überarbeiteter und modernisierter Entwurf für Version 7.0 gerade im Rahmen eines Stellungnahmeverfahrens diskutiert wird. Anbieter hochwertiger, diagnostischer DiGA können die vom IQWIG geforderten Kriterien erfüllen. Dies würde den Lösungen, im Vergleich zum Nachweis allgemeiner positiver Versorgungseffekte, gerechter.

  3. Sofern eine diagnostische DiGA die Evidenzanforderungen adäquater Validitätsstudien erfüllt, sollte sie durch den Leistungserbringer auch ohne gesicherte Diagnose, das heißt im Kontext der Erstdiagnostik angewandt werden dürfen.

  4. Diagnostische Instrumente entsprechen häufig einem Medizinprodukt höherer Risikoklasse. Sofern Validitätsstudien die diagnostische Güte der DiGA belegen und die Lösung in der Verantwortung des Arztes verwendet wird, sollten auch Medizinprodukte höherer Risikoklassen als Dx-DiGA zugelassen und erstattungsfähig werden. In der bereits zitierten Digitalstrategie des BMG wird der Plan einer höheren Risikoklassifizierung von DiGAs bereits formuliert. Im diagnostischen Kontext sollte die Möglichkeit einer höheren Risikoklassifizierung besonders durchdacht werden.

  5. Die Anforderungen und Eigenschaften kombinierbarer, erstattungsfähiger Hardware müssten genauer spezifiziert und definiert werden (z. B. für In-Vitro-Diagnostik oder Symptom-Monitoring-Geräte), um Anbietern Planbarkeit in der Produktentwicklung und Evidenzgenerierung zu ermöglichen.

Abschließend würde es sich insgesamt innovationsförderlich auswirken, wenn technische und produktspezifische Anforderungen (d. h. auch Anlage 1 und 2 der DiGAV) in englischer Sprache zur Verfügung stehen. Digitale medizinische Produkte werden nahezu immer von hochqualifizierten, internationalen Projektteams entwickelt. Die Sprachbarriere stellt derzeit für alle potenziellen DiGAs gleichermaßen einen Hemmfaktor dar. Erst international zugängliche und verständliche Unterlagen ermöglichen, globale Potentiale für ein modernes Gesundheitssystem mit innovativen Technologien nutzen zu können.

Lösungsansätze zur Integration digitaler DiGA in die Versorgung

Mit einer Anpassung des Fast-Tracks für digitale Diagnostik, kann die Vorreiterrolle Deutschlands für digitale Gesundheitsanwendungen nicht nur manifestiert, sondern ausgeweitet werden – und somit eine solide Basis für die Gesundheitsversorgung von Morgen geschaffen werden.

Fazit

Berlin, April Monat 2023

Quellenangaben

1) Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2020). Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach § 139e SGB V. Abgerufen am 23.03.2023 unter https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medizinprodukte/diga_leitfaden.html?nn=597198

2) Bundesministerium für Gesundheit (2023). Gemeinsam digital – Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege. Abgerufen am 18.03.2023 unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/D/Digitalisierungsstrategie/BMG_Broschuere_Digitalisierungsstrategie_bf.pdf

3) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2022). Allgemeine Methoden, Version 7.0. Abgerufen am 24.03.2023 unter https://www.iqwig.de/methoden/allgemeine-methoden_entwurf-fuer-version-7.pdf

4) Gemeinsamer Bundesausschuss (2023). Methodenbewertung. Abgerufen am 17.02.2023 unter https://www.g-ba.de/themen/methodenbewertung/

5) McKinsey (2022). Digitalisierung im Gesundheitswesen – die 42 Milliarden Euro Chance für Deutschland. Abgerufen am 22.03.2021 unter 220524_mckinsey_die 42-mrd-euro-chance.pdf

6) Tagesspiegel (2021). Warum Ärzte DiGAs nicht verschreiben. Abgerufen am 21.03.2023 unter https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/warum-aerzte-digas-nicht-verschreiben

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