Als Johanna Baier mit 25 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose erhält, gerät ihre Welt aus den Fugen - einstürzen würde sie jedoch keinesfalls. Dafür hat die immer neugierige Roche-Mitarbeiterin einfach zu viel Lust am Leben.

Ein kurzes Stocken, ein Moment der Unsicherheit, ob sie es denn wirklich sagen kann. Dann aber platzt es aus Johanna Baier heraus: „Es fühlt sich irgendwie so an, als wäre ich betrunken.“ Sie lacht noch ein wenig verlegen, beim nächsten Satz hat ihre Unbekümmertheit jedoch ganz die Oberhand gewonnen. „Auf Partys trinke ich dann gerne auch ein Bier – das macht mein Erlebnis kompletter“, scherzt sie. Überhaupt nimmt sie die gesamte Situation mit überraschend viel Humor - ganz nach dem Motto “Positives Denken ist die beste Medizin”.

Johanna Baier hat Multiple Sklerose. MS – jene schwere Erkrankung des zentralen Nervensystems, die eigentlich jede neurologische Störung hervorrufen kann. Wenn sie ihre Umgebung nur verschwommen wahrnimmt, Doppelbilder sieht und ihre Koordinationsfähigkeit nachlässt, dann zeigt die Krankheit eines ihrer vielzitierten 1000 Gesichter.

Ihre Diagnose erhielt Baier 2012 – mit gerade einmal 25 Jahren. Die gelernte Hotelfachfrau war im Auto unterwegs zur Arbeit in der Schweiz. Nach ein paar Minuten musste sie abbrechen. „Ich konnte weder die Fahrbahnmarkierungen noch den restlichen Verkehr erkennen“, erinnert sie sich.

Der erste Weg führte zum Augenarzt. Dort wiederum überwies man sie in die Neurologie, wo sich dann ein tiefer Krater durch das sonst so lebenslustige Innere zog. „Mein Schock rührte nicht einmal von der Diagnose her – ich wusste ja nicht einmal, was MS wirklich ist“, erklärt Baier. „Es war die Schwere in der Stimme meiner Ärztin, die mich völlig aus der Bahn warf.“ Die folgende Online-Recherche mit all den Geschichten über die Erkrankung brachte sie nicht gerade zurück auf Kurs.

Doch neben ihrem Humor besitzt Johanna Baier eine weitere prägende Eigenschaft: eine regelrecht erfrischende Rastlosigkeit. „Ich habe da ein Motto: ‚Aufstehen, Krone richten, weitergehen‘“, sagt sie. „Das steht sogar auf einer Blech-Krone, die mir meine Schwiegermutter in spe schenkte.“

Also fand sie sich nach kürzester Zeit dort wieder, wo sie mit dem Auto nur ein paar Tage zuvor nicht angekommen war: auf Arbeit. Endlich wieder Alltag. Als sie merkte, dass ihr für die Zukunft als Hotelfachfrau auf lange Sicht die Kraft fehlen würde, studierte sie BWL.

Als ihre Koordinationsfähigkeit sich zunehmend verschlechterte, hakte sie ihre alten Sport-Vorlieben ab und wagte sich in unbekanntes Terrain vor. Zur wahren Sucht ist das Bouldern geworden. „Hier muss ich mich komplett auf die Gegenwart konzentrieren, auf den nächsten Stein, den ich zum Vorankommen brauche“, schwärmt Johanna Baier.

In die Leidenschaft, mit der sie vom seillosen Klettern spricht, mischt sich dennoch ein nachdenklicher Unterton. Denn wenn es Freude bedeutet, nur an das Jetzt denken zu können, wie viel Kummer muss dann die Zukunft bereiten? „Klar, es gibt immer wieder diese Phasen, in denen die Anspannung abfällt“, so Baier. „Die Ablenkung ist weg und die dunkleren Gedanken übernehmen. Manchmal quälen sie mich bis in die Nacht hinein. “Das Schlimmste an der Multiplen Sklerose sei die Ungewissheit: Wann kommt der nächste Schub? Wie lange wird man noch laufen können? Rückhalt findet sie in solchen Phasen bei ihren Lieben. Bei den Eltern, die sie als Person mit Ecken, Kanten, Stärken und Schwächen wahrnehmen und nicht als Patientin. Bei Ihren Freunden, mit denen sie jederzeit reden kann.

Und bei ihrem Freund, der eine riesige Gelassenheit ausstrahlt. „Neulich fragte ich ihn, ob ihn mein langsamer Laufschritt denn stört. Dann sagte er etwas ganz Wundervolles: Früher sei er förmlich durchs Leben gerannt, aber mit mir genieße er seine Umwelt ganz bewusst.“

Und auch Johanna Baier ist immer weniger die Getriebene des nächsten Schubes. Ihre Medikamente zögern ihn immer weiter hinaus, zuletzt lag das Intervall bei zwei Jahren. „Eigentlich verrückt: Anfangs versuchte ich ‚völlig ohne Pillen‘ zu leben, probierte so viele Alternativen wie nur möglich aus. Aber selbst bei der Ayurveda-Tour nach Indien und Sri Lanka merkte ich, dass es ohne Schulmedizin nicht geht.“

Beim Blick auf Baiers berufliche Situation erschließt sich eine weitere Bedeutung dieser Worte. Denn seit Frühling 2017 arbeitet die 31-Jährige bei Roche in Grenzach-Wyhlen. „Beim Vorstellungsgespräch fühlte ich mich wie ein Spion – niemand wusste von meiner Erkrankung, aber ich wusste, dass MS hier ein zentrales Themenfeld ist.“ Als der Welt-MS-Tag nahte, vertraute sich Baier dann doch ihren Kollegen an. „Das war nicht leicht, schließlich sollte mich niemand schonen“, betont sie. Ihre Angst war unbegründet – in der täglichen Arbeit spiele ihr Gesundheitszustand überhaupt keine Rolle. Dafür wisse sie jedoch, dass sie sich bei Fragen jederzeit an genügend versierte Mediziner im Unternehmen wenden könnte.

Und doch möchte das „Mädchen für alles“ bald weit weg sein vom Dreiländereck. Zumindest für ein halbes Jahr. So lange gibt ihr Arbeitgeber Johanna Baier Zeit, die Welt zu entdecken. Oder besser: die ihr unbekannten Teile. Denn wem Stillstand derart fremd ist, der liebt das Reisen. Neue Kulturen und Herangehensweisen zu erschließen, sei von unschätzbarem Wert, findet sie. „Nicht umsonst verbrachte ich mein Auslandssemester in Istanbul, der inoffiziell stressigsten Stadt der Welt.“

Stressig soll es auf ihrer nächsten Reise nicht zugehen. Aber Zeit, darüber nachzudenken, was vielleicht einmal sein könnte, wird dennoch nicht bleiben.

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