Die Hämophilie („Bluterkrankheit“) ist eine schwerwiegende, genetisch bedingte Blutungsstörung, bei der das Blut nicht richtig gerinnt. Dies führt zu unkontrollierten Blutungen, die entweder spontan oder bereits nach geringfügigen Verletzungen auftreten können. Menschen mit Hämophilie bluten nicht stärker als Menschen ohne diese Erkrankung. Blutungen halten bei ihnen jedoch länger an1 und können bei wiederholtem Auftreten – insbesondere in den Gelenken – zu erheblichen Schädigungen führen.
Die Hämophilie wird meist von der Mutter an den Sohn weitergegeben, da es sich um ein X-chromosomal vererbtes, rezessives Merkmal handelt. Zwar können auch Frauen von Hämophilie betroffen sein, dies ist extrem selten der Fall. Bei etwa jedem dritten Patienten entsteht die Hämophilie jedoch durch eine spontane Genmutation und ist nicht vererbt.
Der häufigste Typ der Hämophilie ist die Hämophilie A, weltweit sind davon etwa 900.000 Menschen betroffen.2,3 Bei Menschen mit Hämophilie A fehlt ein wichtiges Protein im Blut beziehungsweise ist es nicht funktionstüchtig oder liegt nur in niedriger Konzentration vor. Dieser sogenannte Faktor VIII spielt eine entscheidende Rolle bei der Blutgerinnung. Wenn es bei Menschen mit einer intakten Gerinnung zu einer Blutung kommt, bindet Faktor VIII an die Faktoren IXa und X. Für die Gerinnung ist dieser Vorgang wesentlich und trägt zur Blutstillung bei. Er wird bei Patienten mit Hämophilie A jedoch durch das Fehlen oder den Mangel an Faktor VIII unterbrochen, so dass die Blutgerinnung beeinträchtigt ist.4
Je nachdem, wie stark der Mangel an Faktor VIII im Einzelfall ausgeprägt ist,5 wird die Hämophilie A in drei Schweregrade eingeteilt: leicht, mittelschwer und schwer. Etwa 60-70 Prozent der Menschen mit Hämophilie A leiden an einer schweren Form dieser Erkrankung, knapp 20 Prozent an einer mittelschweren Form.4
Die schwere Hämophilie A wird häufig bereits in sehr jungen Jahren diagnostiziert. Es können folgende Symptome auftreten:
Häufige Hämatome (blaue Flecken)
Muskel- und Gelenkeinblutungen
Spontanblutungen, vor allem ohne erkennbare hämostatische Ereignisse
Anhaltende Blutungen nach geringfügigen Verletzungen oder chirurgischen Eingriffen5
Gelenkblutungen können ein erhebliches Gesundheitsproblem darstellen, da sie häufig Schmerzen hervorrufen und zu chronischen Schwellungen, Gelenkbeschwerden, eingeschränkter Mobilität und langfristig zu Gelenkschäden führen können.6 Zudem können Spontanblutungen nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen einschränken7, sondern auch lebensbedrohlich sein, wenn sie in lebenswichtigen Organen wie dem Gehirn auftreten.8,9
Bei der mittelschweren Hämophilie A treten gelegentlich Spontanblutungen sowie verlängerte Blutungszeiten bei kleinen Verletzungen oder Operationen auf.5 Aufgrund der oftmals geringeren und selteneren Blutungsneigung wird die mittelschwere Verlaufsform häufig erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.
Die bisherige Therapie der Hämophilie A basiert auf der Substitution von Faktor VIII, entweder durch rekombinante (gentechnisch hergestellte) oder aus menschlichem Plasma gewonnene Ersatzpräparate. Faktor-VIII-Präparate müssen intravenös verabreicht werden, in der Regel 2-3 mal wöchentlich. Das kann vor allem für betroffene Kinder und deren Eltern sehr belastend sein.10 Dies kann die Therapietreue verschlechtern11,12, und dazu führen, dass manche Patienten eine On-Demand-Therapie (Bedarfstherapie) bevorzugen. Dabei wird die Behandlung erst „bei Bedarf“ durchgeführt, also wenn eine Blutung auftritt. Eine Alternative ist eine präventive Dauertherapie (Prophylaxe), die möglichst verhindert, dass es überhaupt erst zu Blutungen kommt.13
Seit 2018 steht Patienten ein andersartiger Ansatz für die Therapie der Hämophilie A zur Verfügung, bei dem ein Antikörper die Funktion von Faktor VIII übernimmt. Diese Antikörpertherapie wird im Abstand von bis zu 4 Wochen als Prophylaxe von Blutungsereignissen bei Patienten mit Hämophilie A mit Faktor-VIII-Hemmkörpern sowie ohne Faktor-VIII-Hemmkörper mit schwerer Erkrankung angewendet. Seit neuesten ist der Antikörper auch für Menschen mit mittelschwerer Hämophilie A und schwerem Blutungsphänotyp zugelassen.
Bei einer Faktor-VIII-Ersatztherapie besteht das Risiko der Entwicklung von Hemmkörpern, d. h. vom körpereigenen Immunsystem gebildete Hemmkörper gegen den verabreichten Faktor VIII.14 Sie erkennen den Faktor als fremd und neutralisieren ihn. Dies kann dazu führen, dass die Therapie unwirksam wird. Bei etwa einem von drei Menschen (25 – 30 Prozent) mit schwerer Hämophilie A entwickeln sich Hemmkörper gegen Faktor VIII.15
Bei diesen Patienten sind je nach Therapieform manchmal noch häufigere Injektionen erforderlich, beispielsweise bei einer Immuntoleranztherapie (ITT). Bei der ITT werden über eine lange Zeit – manchmal über Jahre – oft hohe Dosen Faktor VIII intravenös verabreicht, mit dem Ziel, dass sich das Immunsystem über die Zeit an den substituierten Faktor VIII gewöhnt. Bei Versagen einer ITT oder bei Patienten, für die eine ITT nicht geeignet ist, stehen als weitere Optionen Bypass-Medikamente und die Antikörpertherapie zur Verfügung.
Bei der Antikörpertherapie handelt es sich nicht um eine Faktor-VIII-Ersatztherapie, da der Wirkstoff völlig anders aufgebaut ist. Deswegen wird die Entwicklung von Hemmkörpern weder ausgelöst noch verstärkt. Patienten sollten zusammen mit ihrem Arzt entscheiden, welche Therapieoption am besten für sie geeignet ist.
Roche entwickelt seit über 20 Jahren Medikamente, die neue Behandlungsmaßstäbe in der Hämatologie setzen. Heute investieren wir mehr als je zuvor in unser Bestreben, innovative Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit bösartigen Erkrankungen des Blutes, aber auch mit Hämophilie A zu entwickeln und arbeiten an neuartigen Ansätzen, um die Behandlung dieser schwerwiegenden Erkrankungen weiter voranzubringen.
Für Fachkreise:
Informationen für Patienten:
Referenzen
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