Dipl.-Psych. Susanne Baulig, Leiterin des Schwerpunkts Psychodiabetologie an der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, über die Ursachen psychischer Probleme bei Diabetes, warum Aufklärung so wichtig ist und wie man seine seelische Gesundheit stärken kann.
Mit welchen Themen kommen Patient:innen zu Ihnen?
Wir betreuen aktuell Menschen mit Diabetes aller Altersstufen zwischen 18 und 83 Jahren – davon sind übrigens doppelt so viele von Typ-1- als von Typ-2-Diabetes betroffen. Am häufigsten begegnen uns dabei Depressionen, gefolgt von Essstörungen, die meistens in Form von unkontrollierten Essattacken auftreten, dem sogenannten Binge-Eating. An dritter Stelle kommen Angststörungen im Hinblick auf Hypoglykämien und dann Akzeptanzprobleme, die dazu führen, dass Patient:innen ihren Diabetes am liebsten verleugnen möchten oder es nicht schaffen, sich gut um ihn zu kümmern.
Warum sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Diabetes von psychischen Problemen betroffen?
Es gibt mehrere Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bereits die Diagnose und das damit verbundene Wissen, dass man unter einer chronischen Erkrankung leidet und seinen Lebensstil ändern muss, kann ungemein belastend sein. Dazu kommt, dass Diabetes niemals Pause macht und die Therapie viel Eigenverantwortung und Selbstkontrolle im Alltag erfordert, was sich ebenfalls auf die Psyche auswirken kann. Ein weiterer Aspekt sind Ängste vor möglichen Folgeerkrankungen und akuten Krisensituationen wie Hypoglykämien. Außerdem erlebe ich öfter, dass Patient:innen unter Schuld- und Schamgefühlen leiden – verstärkt durch eine Stigmatisierung von Diabetes, die es leider noch immer in unserer Gesellschaft gibt.
Warum ist Früherkennung hier so wichtig?
Andersherum gesagt: Je später psychische Probleme erkannt und behandelt werden, desto größer ist das Risiko, dass sie chronisch und stärker werden. Eine Früherkennung ermöglicht nicht nur bessere Therapiechancen, sondern sorgt auch dafür, dass Betroffene nicht so lange und weniger leiden müssen. Wenn man mit seiner Psyche zu kämpfen hat, wirkt sich das häufig auch negativ auf das Diabetesmanagement aus, weil die Motivation leidet und man buchstäblich andere Dinge im Kopf hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Behandler:innen bei Menschen mit Diabetes immer auch aktiv nach der seelischen Gesundheit fragen.
Wie können Menschen mit Diabetes ihre mentale Gesundheit stärken?
Diabetes ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Darum ist es entscheidend, dauerhaft eine gute Balance zwischen dem Diabetesmanagement (dem, was man tun muss) und positiven Aktivitäten (dem, was einem gut tut) zu finden. Das können bewusste Auszeiten zum Entspannen, Spaziergänge zum Seele baumeln lassen, sportliche Aktivitäten oder auch gemeinsames Kochen sein. Dazu ist der Austausch mit anderen Betroffenen oft sehr wertvoll, da man sich besser verstanden und nicht so alleine fühlt. Außerdem kann man sich gegenseitig super motivieren und mit Tipps unterstützen. Aber auch moderne Diabetes-Lösungen können dabei helfen, die mentale Gesundheit zu stärken. Ich erlebe häufig, dass der Einsatz von Insulinpumpen, CGM-Systemen oder einer Diabetesmanagement-App den Stress und die Belastung reduzieren kann. Hier sollte man allerdings immer im Blick behalten, die Technik in einem gesunden Maß einzusetzen, um kein zwanghaftes Verhalten zu entwickeln.
Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, dass ich oder eine Freundin bzw. ein Freund unter psychischen Problemen leidet?
Wenn man an sich selbst beobachtet, dass man oft über einen längeren Zeitraum nicht gut schläft, niedergeschlagen, antriebslos oder genervt ist, bedeutet das noch nicht, dass man eine behandlungsbedürftige Störung hat. Es macht aber auf jeden Fall Sinn, den Arzt bzw. die Ärztin beim nächsten Termin darauf anzusprechen, um hier frühzeitig gegensteuern zu können. Bei Freund:innen gilt: Auch wenn es Überwindung kostet – nichts sagen, ist das Schlechteste. Deshalb mein Tipp: einen ruhigen und intimen Moment abwarten und dann mit einer Frage in das Gespräch einsteigen, wie: „Ich habe in letzter Zeit das Gefühl gehabt, dass es Dir nicht gut geht. Habe ich da recht? Kann ich etwas für Dich tun?“ Wenn sich zeigt, dass professionelle Hilfe gewünscht und benötigt wird, kann man auch
Wie können wir als Gesellschaft dazu beitragen, die mentale Gesundheit von Menschen mit Diabetes zu verbessern?
Wir brauchen definitiv mehr Aufklärung zum Thema Diabetes, um bestehende Vorurteile abzubauen. Menschen mit Diabetes müssen sich immer noch anhören, dass sie selbst an ihrer Erkrankung schuld sind oder ernten komische Blicke, wenn sie in der Öffentlichkeit Blutzuckermessen oder sich Insulin spritzen. Diese Stigmatisierung bedeutet eine zusätzliche Belastung für Betroffene, obwohl das Leben mit Diabetes schon anstrengend genug ist. Außerdem wünsche ich mir, dass auch von ärztlicher Seite genauer hingeschaut wird, wenn es um die psychischen Aspekte von Diabetes geht, die aus meiner Sicht genauso wichtig wie gute Blutzuckerwerte sind. Darüber hinaus sollte es mehr Therapieplätze und damit einen besseren Zugang zur psychotherapeutischen Behandlung geben.
Foto: © Christoph Ates
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