Die Gesundheitswirtschaft befindet sich an einem Wendepunkt. Deutschland hat das Potenzial, führend in der Biotechnologie zu werden – so steht es im Koalitionsvertrag. Warum ist es wichtig, dass medizinische Spitzenforschung und Produktion hierzulande stattfindet und welche Bedeutung hat das?

Die Weltwirtschaft fährt Achterbahn. Nach schwierigen Pandemiejahren spüren wir nun die Konsequenzen: Rezession und Inflation. Gleichzeitig wird die Kluft zwischen Worten und Taten in der Politik immer mehr zu einem Grand Canyon. Das Lieblingswort vieler Politiker lautet „Zukunft“, aber im Vordergrund steht die Gegenwart. Die Folge: Erst wenn Unternehmen abwandern, wird die Politik hellhörig. Erst wenn Wirtschaftszweige in Not geraten, antwortet die Politik – oft mit Subventionen. Was mich besonders besorgt: Gleichzeitig werden starke Leitindustrien aufs Spiel gesetzt, wie man am Beispiel der industriellen Gesundheitswirtschaft sieht.

Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologiestandort zu werden; so steht es im Koalitionsvertrag. Mit 1,1 Millionen Beschäftigten ist die Branche ein zentraler Arbeitgeber. Sie reinvestiert 15 Prozent ihrer Umsätze in Forschung und Entwicklung – deutlich mehr als die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Nicht zuletzt hat die Pandemie uns vor Augen geführt, warum es wichtig ist, dass Spitzenforschung und Produktion hierzulande stattfinden und welche Bedeutung Partnerschaften zwischen großen und kleinen Unternehmen, Ärzteschaft, Wissenschaft und Behörden für den medizinischen Fortschritt haben.

Als Branche rufen wir nicht nach Subventionen, sondern nach verlässlichen Rahmenbedingungen. Ja, durch Arzneimittel entstehen Kosten: 12 Prozent der Ausgaben gesetzlicher Krankenkassen. Ein Anteil, der über Jahre stabil geblieben ist. Demgegenüber steht eine Wertschöpfung von 190 Milliarden Euro und substantielle Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme. Der Saldo ist positiv. Mit ihrer Wirtschaftskraft und den Abstrahleffekten in verschiedenste Bereiche steht unsere Branche für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Andere Länder kaufen Produkte „made in Germany“ ein, ohne dass sie dem eine eigene Wertschöpfungskomponente gegenüberstellen können. Wir haben beides: Innovative Medikamente für Patientinnen und Patienten; und Arbeitsplätze und Investitionen für nachhaltiges Wachstum.

Von Arzneimitteln, die Krebspatient:innen länger leben lassen oder sogar heilen, bis zu neuartigen Gentherapien wird zwischen Hamburg und München fast alles erforscht und produziert, was moderne Biotechnologie und pharmazeutische Forschung hergeben. Ist Deutschland also nicht nur Auto-, sondern auch Pharmaland?

Doch inzwischen ist die Belastungsgrenze überschritten: wird durch Bürokratie und innovationsfeindliche Gesetze ausgebremst. So wie Physiker vor Materialermüdung durch anhaltende Druckbelastung warnen, so muss auch hier gewarnt werden: Leistungsfähige Wirtschaftszweige können ebenfalls ermüden und wegbrechen; mit handfesten Risiken für unser aller Wohlstand.

Autor
Prof. Dr. Hagen Pfundner
Vorsitzender der Geschäftsführung Roche Deutschland Holding GmbH

Dieser Artikel ist am 06.11.2023 in der Kolumne "Ihre Meinung bitte, Hagen Pfundner" in der WELT erschienen.

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