Schutzengel und Saboteur - Die zwei Gesichter der B-Zellen
Die B-Zellen sind die gefeierten Superhelden unseres Immunsystems - mit chirurgischer Präzision erkennen sie gefährliche Eindringlinge wie zum Beispiel Viren, Bakterien oder entartete Zellen - und sind stets bereit, unseren Körper gegen Gefahren zu verteidigen.
Doch was passiert, wenn ein Held die Seiten wechselt?
Wie die Marvel-Figur Venom, die von einem dunklen Symbionten ergriffen wurde und eine verhängnisvolle Wandlung durchmacht, können auch B-Zellen die Seite wechseln. Sie richten ihre mächtige Kraft dann nicht mehr gegen äußere Feinde - sondern gegen unseren Körper selbst. Sie attackieren gesundes Gewebe, lösen chronische Autoimmunerkrankungen aus - oder entarten selbst zu Tumorzellen.
Und wie wir es aus jeder guten Geschichte wissen: Wenn ein Wesen mit Superkräften zur Bedrohung wird, können die Folgen verheerend sein. Doch genau an diesem Punkt kommt die moderne Forschung ins Spiel. Kann sie das Steuer herumreißen? Und wie lassen sich fehlgeleitete B-Zellen überhaupt zähmen?
Genau darüber sprechen wir in der heutigen Ausgabe von Snackable Science mit unserem Kollegen Dr. Marvin Peters, Principal Medical Lead in den Bereichen Immunologie sowie respiratorische, kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen bei Roche in Deutschland. Er erklärt uns:
🔬 Was genau sind B-Zellen – und warum spielen sie eine so zentrale Rolle sowohl für unsere Gesundheit als auch bei Erkrankungen?
🎯 Was macht B-Zellen zu einem zentralen therapeutischen Target der modernen Medizin?
💡 Wie gelingt es der medizinischen Forschung, die dunkle Seite der B-Zellen gezielt zu kontrollieren?
Dr. Marvin Peters, Principal Medical Lead in den Bereichen Immunologie sowie respiratorische, kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen bei Roche in Deutschland
Q: Lieber Marvin, was genau sind überhaupt B-Zellen? Und vor allem: Welche Aufgaben erfüllen sie in unserem Immunsystem?
A: B-Zellen sind spezialisierte weiße Blutkörperchen - und bilden einen zentralen Teil unseres körpereigenen Immunsystems. Man kann sie sich wie ein zielgenaues Abwehrsystem im Körper vorstellen. Dank hochspezifischer Rezeptoren erkennen sie bestimmte Merkmale - die sogenannten Antigene - auf der Oberfläche von Viren, Bakterien oder anderen Krankheitserregern. Sobald sie diese als gefährlich einstufen, produzieren sie dagegen maßgeschneiderte Antikörper und feuern sie wie präzise Mini-Raketen ab. Diese Antikörper wiederum markieren die fremden Eindringlinge und rufen so andere Immunzellen zum Angriff. Doch das ist längst nicht alles: B-Zellen speichern gleichzeitig auch Informationen über Krankheitserreger. Sie sind also gleichzeitig das Gedächtnis, Architekt und Verstärker unserer Immunantwort.
Q: Heute weiß man, dass B-Zellen nicht nur für unsere Gesundheit zentral sind - sie spielen auch bei der Entstehung und dem Fortschreiten von Erkrankungen eine entscheidende Rolle.
A: Richtig, unser Wissen über die Rolle der B-Zellen ist heute so tief und differenziert wie nie zuvor. Lange galten die B-Zellen vor allem als
Q: Angesichts der zentralen Rolle von B-Zellen bei verschiedenen Erkrankungen ist es naheliegend, dass die Forschung sie als therapeutisches Zielmolekül, als sogenanntes Target, ins Auge fasst.
A: Absolut – ihre entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen macht B-Zellen zu einem vielversprechenden Ansatzpunkt für die Entwicklung innovativer und transformativer Therapien. Die Erforschung und Entwicklung B-Zell-gerichteter Behandlungsstrategien ist kein Neuland, aber heute dynamischer und gezielter denn je. Bereits seit den 1990er Jahren wurde intensiv an Wirkstoffen geforscht, bei denen die B-Zellen als zentrale therapeutische Zielstruktur fungieren. Und das Ganze mit Erfolg! Ende der 1990er hat beispielsweise Roche einen Antikörper in die Versorgung gebracht, der sich zielgerichtet an B-Zellen bindet und diese so zerstört. Diese Strategie wurde zunächst für Blutkrebs entwickelt - später aber auch bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Seitdem hat sich das Verständnis zur pathogenen Rolle der B-Zellen bei verschiedenen Erkrankungen deutlich erweitert und vertieft - ebenso wie das therapeutische Repertoire. Heute werden gezielte Therapiestrategien entwickelt, die darauf abzielen, die vielfältigen Funktionen und Dysfunktionen von B-Zellen bei unterschiedlichen Krankheitsbildern therapeutisch zu beeinflussen. Das steht exemplarisch für den Fortschritt in der Immunmedizin.
Q: Welche Ansätze verfolgen wir bei Roche aktuell?
A: Auch wir forschen an verschiedenen Strategien - und setzen dabei auf zielgerichtete molekulare Weiterentwicklungen und technologische Fortschritte. Dazu zählt beispielsweise die B-Zell-Depletion. Wir wissen heute immer besser, welche Rolle das Ausmaß – und die Geschwindigkeit – der B-Zell-Depletion für den Krankheitsverlauf spielt. Denn: Je schneller und tiefer B-Zellen eliminiert werden, desto effektiver lässt sich die Produktion autoreaktiver Antikörper stoppen – und damit die Entzündung eindämmen, bevor sie irreversible Schäden anrichtet.
Diese Strategie erforschen wir beispielsweise aktuell für die Behandlung der Lupus Nephritis, einer seltenen, aber gleichzeitig schweren Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Niere angreift, was letztlich zu einer dauerhaften Entzündung bis hin zum Verlust der Nierenfunktion führt. Eine gezielte und hocheffektive B-Zell-Depletion gilt heute als vielversprechender neuer Therapieansatz. Wir hoffen, dass wir mit unserer Forschung neue Behandlungsstandards schaffen, die die Therapieergebnisse verbessern und die Lebensqualität von Patient:innen langfristig erhalten. Gleichzeitig forschen wir aber auch an anderen B-Zell-spezifischen Behandlungsstrategien, so zum Beispiel an kleinen Molekülen, die die Funktionsfähigkeit von B-Zellen beeinträchtigen. Diese Strategien setzen nicht auf Depletion, sondern darauf, die Aktivität überaktiver B-Zellen zu modulieren, um akute Entzündungen effektiv zu bremsen – ganz ohne das Immunsystem zu schwächen.
Q: Also, Forschung in diesem Bereich boomt - doch die Entwicklung neuer Medikamente ist und bleibt ein hoch komplexes Unterfangen. Was sind denn die großen Herausforderungen bei der Entwicklung von B-Zell-gerichteten Therapien?
A: Eine der größten Herausforderungen - und gleichzeitig ein zentrales Thema moderner Immunforschung - liegt in der enormen Vielfalt der B-Zellen selbst. Denn unser molekulares Verständnis geht heute deutlich tiefer: B-Zellen sind nicht alle gleich; sie haben - wie schon gesagt - zwei Gesichter. Auf der einen Seite gibt es Subtypen, die bei verschiedenen Krankheiten eine problematische Rolle spielen - andererseits haben wir aber auch B-Zellen mit schützenden Funktionen. Die Herausforderung und das Ziel der aktuellen Forschung ist es daher, immer präzisere Strategien zu entwickeln, die möglichst zielgenau nur die Übeltäter unter den B-Zellen beeinflussen, ohne die guten Helfer zu stören. Diese Herausforderung ist aber nicht nur eine Hürde, sondern vor allem der Motor für Innovation und Fortschritt: Denn jede neue Erkenntnis hilft uns dabei, die Rolle der B-Zellen in unserem Immunsystem besser zu verstehen, eröffnet neue Forschungsansätze für zukünftige Behandlungsoptionen- und bringt uns somit dem Ziel näher, dass mehr Patient:innen mit schweren Erkrankungen von B-Zell-gerichteten Therapien profitieren können.
Lieber Marvin, vielen Dank für das spannende Gespräch!
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