Medizinische Forschung funktioniert nicht ohne Haltung und Mut. Welche Rolle spielen Risiken für die deutsche Gesundheitswirtschaft und wie wichtig sind Innovationen?

Innovation braucht Haltung. Sie braucht den Mut, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, gegen den Strom zu schwimmen, Hindernisse zu überwinden. Und sie erfordert eine Menge Durchhaltevermögen. Katalin Karikó und Drew Weissman verkörpern Innovation. Über Jahrzehnte haben sie daran geforscht, eine Idee zum Leben zu erwecken. Sie haben Rückschläge erlitten – und weiter geforscht. Anfang Oktober wurden sie für ihre Arbeit, wie mRNA mit unserem Immunsystem interagiert, mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet.

Die Leistung von Karikó und Weissman ist ein Glücksfall für die Menschheit. Mit ihrer Forschung haben sie eine Grundlage dafür geschaffen, dass wir den Weg aus einer globalen Pandemie zurück zur Normalität gefunden haben. Zu diesem Glücksfall gehört auch, dass universitäre Spitzenforschung und Unternehmergeist zusammengefunden haben. Dass es Unternehmen gab, die das privatwirtschaftliche Risiko eingegangen sind, das es braucht, damit die Zündschnur der Erfinder in den Laboren brennen kann. Damit Forschungsergebnisse als innovative Medikamente bei Patienten ankommen.

Welch starke Rolle die Gesundheitsindustrie bei der Übersetzung von Spitzenforschung in medizinische Lösungen spielt, zeigt ein Blick nach Deutschland: Rund zwei Drittel der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung kommen aus der Industrie. Und mir fällt keine Innovation ein, die allein von öffentlicher Hand finanziert in die medizinische Versorgung gekommen ist. Vielmehr sind viele Bereiche des Gesundheitswesens, in denen der Staat das Regiment übernommen hat, ineffizient und dysfunktional.

Wieviel Innovation ist also zukünftig noch aus Deutschland zu erwarten? Die aktuelle Politik setzt fatale Signale an die Risikobereitschaft forschender Gesundheitsunternehmen. Statt Raum für Innovation zu öffnen, führen neue Gesetze dazu, dass Politik und Bürokratie entscheiden, was in Deutschland innovativ ist. Statt dringend notwendige Reformen im Gesundheitssystem gemeinsam anzugehen, wird Innovation über gesetzlich verordnete Zwangsrabatte willkürlich entwertet, die Krankenkassen quersubventioniert und Innovationsgeist ausgebremst. Das ist ordnungspolitischer Unfug und staatliche Wettbewerbsverzerrung, die wir uns nicht leisten können.

Deutschland muss ein attraktiver Standort für medizinische Innovationen bleiben, um wirtschaftlichen Wohlstand, Versorgungssicherheit und eine hochwertige Gesundheitsversorgung für Patient:innen zu sichern. Als Branche mit der höchsten Bruttowertschöpfung pro Beschäftigten und einer zweistelligen Reinvestitionsquote in Forschung und Entwicklung bringt die deutsche Pharmabranche der Gesamtwirtschaft erhebliche Vorteile und agiert als Innovationstreiber.

Es geht nicht um die Debatte „mehr oder weniger Staat“ – es geht auch hier um die Haltung: Denn es fehlt eine Haltung, die Innovation nicht einseitig auf der Ausgabenseite verbucht; sondern Mut und Erfindergeist „made in Germany“ ermöglicht, anerkennt und honoriert.

Autor
Prof. Dr. Hagen Pfundner
Vorsitzender der Geschäftsführung Roche Deutschland Holding GmbH

Dieser Artikel ist am 16.10.2023 in der Kolumne "Ihre Meinung bitte, Hagen Pfundner" in der WELT erschienen.

Links zu Websites Dritter werden im Sinne des Servicegedankens angeboten. Der Herausgeber äußert keine Meinung über den Inhalt von Websites Dritter und lehnt ausdrücklich jegliche Verantwortung für Drittinformationen und deren Verwendung ab.