Bisher basierte die Risikoabschätzung auf Daten antikoagulierter Patienten. Ob diese Scores auch für AF-Patienten ohne orale Antikoagulation geeignet sind, untersucht eine neue Studie.
Orale Antikoagulation kann bei Menschen mit Vorhofflimmern (AF) das Schlaganfallrisiko signifikant reduzieren, allerdings auf Kosten eines erhöhten Blutungsrisikos. Um die optimale Therapieentscheidung für diese Patienten treffen zu können, ist eine möglichst genaue Abschätzung der Risiken für Schlaganfall, schwere Blutungen und Tod wichtig. Die biomarkerbasierten ABC-AF Scores* haben sich gegenüber herkömmlichen Risiko-Scores bei der Vorhersage von Schlaganfall, schweren Blutungen und Tod als überlegen erwiesen. Die Scores basieren jedoch auf Daten antikoagulierter Patienten. Ob sie für AF-Patienten ohne orale Antikoagulation geeignet sind, wurde bisher nicht untersucht. Eine neue Studie schafft Klarheit.
Die Untersuchung von Benz et al. wurde im Mai 2021 im Fachmagazin „Circulation“ veröffentlicht. Ziel war die Validierung und Rekalibrierung der biomarkerbasierten ABC-AF Scores in Patienten mit AF, die keine orale Koagulation erhielten.1 Außerdem wurden rekalibrierte Scores den aktuell in den Leitlinien empfohlenen Risiko- Scores CHA2DS2-VASc und HAS-BLED gegenübergestellt.
Die ABC-AF Scores kombinieren klinische Informationen mit den Plasmaspiegeln der Biomarker NT-proBNP (N-terminales Pro-B-Typ natriuretisches Peptid), cTnT (kardiales Troponin T) und GDF-15 (Wachstumsdifferenzierungsfaktor 15).
Es gibt bislang zwei große prospektive klinische Studien (ACTIVE A2 und AVERROES3), die eine antithrombozytäre Therapie mit Aspirin bzw. Aspirin und Clopidogrel bei Patienten mit AF ohne orale Antikoagulation untersuchen. Im Rahmen ihrer Validierungsstudie nutzten die Wissenschaftler um den kanadischen Wissenschaftler Alexander Benz Blutproben aus diesen beiden Studien. Zunächst bestimmten sie mit Hilfe von Elecsys Immunoassays die Plasmaspiegel der ABCBiomarker NT-proBNP, cTnT und GDF-15, und zwar bei folgenden Kohorten:
Aspirin-Kohorte (n=3195):
Sie umfasste nicht antikoagulierte Patienten mit AF, die Aspirin erhielten.
Combined-Antiplatelet-Kohorte (n=4305):
Sie umfasste die Aspirinkohorte und weitere 1110 nicht antikoagulierte Patienten mit AF, die Aspirin und Clopidogrel erhielten.
Dann wurde das ABC-AF-1-Jahres-Risiko für Schlaganfall, systemische Embolie, schwere Blutungen und Tod bestimmt. Dazu wandten die Wissenschaftler ein Verfahren an, das im Rahmen der ARISTOLE Studie für Patienten, die eine Antikoagulation mit Apixaban oder Vitamin-K-Antagonisten erhielten, entwickelt worden war.4,5,6
Die Kalibrierung der jeweiligen ABC-AF Scores erfolgte durch Vergleich der mit Hilfe von COX-Regressionsmodellen geschätzten 1-Jahres-Eventraten mit den beobachteten Eventraten.
Die ursprünglichen ABC-AF Scores wurden an Patienten entwickelt, die eine Antikoagulation erhielten. Daher ist anzunehmen, dass die neu berechneten Scores das Risiko für Schlaganfall unter- und das Risiko für Blutungen überschätzen.
Vergleich mit den aktuell empfohlenen Scores: Um die ABC-AF Scores zu bewerten und mit den bisher empfohlenen Risiko- Scores CHA2DS2-VASc und HAS-BLED zu vergleichen, wurde der Harrell`s c-Index verwendet, und zwar für den ABC-AFstroke Score vs. CHA2DS2-VASc und für den ABC-AF-bleeding Score vs. HAS-BLED.7
Tab. 1: Vergleich des ABC-AF-stroke Scores mit dem CHA2DS2-VASc Score zur Vorhersage des Schlaganfall- und Embolierisikos
Tab. 2: Vergleich des ABC-AF-bleeding Scores mit dem ABC-AF-BLED Score zur Vorhersage schwerer Blutungen
Die ABC-AF-stroke- und -bleeding Scores konnte erfolgreich für die Risikoabschätzung rekalibriert werden. Es zeigte sich wie erwartet, dass der bisher genutzte ABC-AF stroke Score, der auf der Basis von Daten, die mit antikoagulierten Patienten erhoben wurde, das Risiko für Schlaganfall unterschätzt. Entsprechend überschätzte der bisherige ABC-AF-bleeding Score das Risiko für schwere Blutungen.
Die rekalibrierten ABC-AF Scores übertrafen die von den Leitlinien empfohlenen und weit verbreiteten CHA2DS2-VASc und HASBLED Scores (s. Tabelle 1 und 2). Sie bieten damit eine verbesserte Entscheidungshilfe bei der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern.
*ABC steht für age, biomarker and clinical history – Alter, Biomarker, klinische Vorgeschichte und AF steht für artrial fibrillation, dem englischen Begriff für Vorhofflimmern.
Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
Quellen
Benz A et al. Biomarker-Based Risk Prediction With the ABC-AF Scores in Patients With Atrial Fibrillation Not Receiving Oral Anticoagulation. Circulation. 2021;143:1863–1873. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA. 120.053100
Connolly SJ et al. Effect of clopidogrel added to aspirin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2009;360:2066–2078. doi: 10.1056/NEJMoa0901301
Connolly SJ et al. AVERROES Steering Committee and Investigators. Apixaban in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2011;364:806–817. doi: 10.1056/NEJMoa1007432
Hijazi Z et al. ARISTOTLE and STABILITY Investigators. The ABC (age, biomarkers, clinical history) stroke risk Score: a biomarker-based risk Score for predicting stroke in atrial fibrillation. Eur Heart J. 2016;37:1582–1590. doi: 10.1093/eurheartj/ehw054
Hijazi Z et al. ARISTOTLE and RE-LY Investigators. The novel biomarker-based ABC (age, biomarkers, clinical history)-bleeding risk Score for patients with atrial fibrillation: a derivation and validation study. Lancet. 2016;387:2302–2311. doi: 10.1016/S0140-6736(16)00741-8
Hijazi Z et al. ARISTOTLE and RE-LY Investigators. A biomarker-based risk Score to predict death in patients with atrial fibrillation: the ABC (age, biomarkers, clinical history) death risk Score. Eur Heart J. 2018;39:477–485. doi: 10.1093/eurheartj/ehx584
Harrell et al. Evaluating the yield of medical tests. JAMA. 1982;247:2543–2546.
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