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In Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern, zeichnen sich Qualitätsdifferenzen zwischen Leistungserbringern im Gesundheitswesen ab.1 Trotz einer gering ausgeprägten Qualitätstransparenz wächst das Bewusstsein über unerwünschte Qualitätsunterschiede in Deutschland stetig. Zudem stehen Gesundheitssysteme weltweit vor Herausforderungen wie einem steigenden Kostendruck. Dieser wird durch die aktuellen Strukturen und Anreizsysteme, die einen Wettbewerb der Akteure im Gesundheitswesen um Volumen fördern, zusätzlich erhöht. Es resultiert, abhängig vom Versorgungsbereich, eine Unter- oder Überversorgung.

Ein Beitrag von Sophie-Christin Ernst, MD Assistenzärztin Augenklinik, Stadtspital Zürich Triemli und Mitgründerin der Patients4Digital gGmbH und Viktoria Steinbeck, Msc, Msc, beide sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin sowie Co-Entwicklerinnen des ersten deutschen VBHC-Seminar

Als Reaktion auf diese Herausforderungen wächst das Interesse an einem alternativen, stärker qualitätsbasierten und nachhaltigem Ansatz. Im Verlauf der letzten 10–15 Jahre rückt hier das Konzept von „Value-based Healthcare“ (VBHC) in den Vordergrund. Erstmals in den 90er-Jahren verwendet, wurde der Begriff maßgeblich durch Michael E. Porter und Elizabeth Teisberg geprägt.2 „Value“ wird dabei als das für den Patienten oder die Patientin bestmögliche Behandlungsergebnis („Outcome“) im Verhältnis zu den zum Erreichen dieses Ergebnisses aufgewendeten Ressourcen („Costs“) definiert. So simpel und einleuchtend dieses Prinzip erscheint, so schwer ist doch die Umsetzung. Die sechs VHBC-Schlüsselelemente von Porter und Teisberg2 geben Anregungen, wie mehr Patientennutzen im Gesundheitssystem erreicht werden kann (s. unten).

Der VBHC-Ansatz beinhaltet unter anderem eine umfassende Krankheits- oder Indikationsspezifische Ergebnismessung, die kontinuierliche Lernprozesse anstoßen soll. Dabei beschränkt sich die Ergebnismessung nicht auf die bisher häufig herangezogenen klinischen Parameter wie beispielsweise Mortalitäts-, Komplikations- und Revisionsraten, auf Prozess- oder Strukturindikatoren, sondern bezieht mittels Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) explizit die Patientenperspektive mit ein. Diese können über standardisierte und validierte Fragebögen erfasst werden.3 Allerdings haben sie zumeist noch keinen Einzug in die Regelversorgung gefunden. PROMs können durch eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten zu einer stärker am Patienten ausgerichteten Versorgung beitragen.4 So wurde z.B. gezeigt, dass die Mortalitätsraten bei Onkologie-Patientinnen sinken, wenn ein PROMs-Monitoring auf Distanz mit Alarmfunktionen stattfindet, da es ein schnelles Einschreiten bei Verschlechterung der selbst berichteten Werte ermöglicht.5 Besonders im Zusammenhang mit anderen klinischen Daten, können PROMs genutzt werden, um Versorgungsdefizite zu identifizieren und gesundheitlichen Folgen vorzubeugen.

VBHC impliziert einen transformativen Prozess, der durch eine radikale Umorientierung des Wettbewerbes um Masse hin zu einem Wettstreit um Qualität angetrieben wird. Dabei bezieht die Qualitätsdefinition die Ergebnisse mit ein, die für Patienten und Patientinnen relevant sind.

Die 6 Schlüsselelemente von Value-based Healthcare:

  • Gesundheitsversorgung, die an Patientengruppen und ihren Bedürfnissen ausgerichtet ist

  • Kontinuierliche Messung von Ergebnisparametern und Kosten über den gesamten Behandlungszyklus hinweg

  • Erstattung basierend auf Qualität nicht nach Volumen

  • Silos zugunsten von Versorgungsnetzwerken auflösen

  • Führende Leistungserbringer als Exzellenzzentren und geographische Ausdehnung

  • Informationstechnologie, die eine effiziente Datenerhebung und Nutzung ermöglicht

Eines der Kernelemente des VBHC-Ansatzes ist die enge Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder im Gesundheitswesen über Fachbereiche, Sektorengrenzen und etablierte Silos hinweg. Nur durch eine gute Verzahnung von Teilprozessen und einem effizienten Informationsaustausch entlang des Behandlungspfades entsteht ein an Patienten und Patientinnen und ihren Bedürfnissen ausgerichtetes Behandlungskontinuum. „Value“ kann an verschiedenen Punkten entlang dieses Kontinuums, von den ersten Symptomen über die richtige Diagnose bis zur Therapie, geschaffen werden. An jedem Punkt ergänzen sich Expertise und Produkte verschiedener Akteure. „Value“ für den Patienten aber auch für das Gesundheitssystem ist somit Resultat eines „Co-Creation“-Prozesses.

Prominente Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung von VBHC fokussieren häufig auf einzelne Leistungserbringer. Zunehmend rückt auch die Industrie und ihre Rolle in der Entwicklung und Bereitstellung innovativer Technologien, die den Patientennutzen maximieren, in den Blickpunkt. Das Potenzial der Anbieter im Bereich der Diagnostik, früh im Behandlungsprozess „Co-Creator“ besserer Outcomes zu werden und zu einer effizienten Nutzung limitierter Ressourcen beizutragen, bleibt bisher jedoch wenig beleuchtet.

Während Bestandteile eines Behandlungspfades wie eine invasive Untersuchung oder ein chirurgischer Eingriff für Patienten und Patientinnen, aber auch Ärzte und Ärztinnen oft eindrücklich sind, tritt der Anteil der Labordiagnostik oft dahinter zurück – zumindest solange diese in kurzer Zeit aussagekräftige und zuverlässige Ergebnisse liefert. Ist dies nicht der Fall, kommt ihre Bedeutung jedoch umso mehr zum Tragen, denn sie sind entscheidender Bestandteil der korrekten Diagnosestellung und der Evaluierung eines Ansprechens auf die gewählte Therapie. Verzögerungen in der Diagnostik sind für Patienten und Patientinnen oft sehr belastend, falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse können fatale Konsequenzen und Fehlentscheidungen nach sich ziehen, überflüssige Diagnostik erhöht die Kosten für das System und das Risiko falsche Ergebnisse zu erhalten.

Die richtigen Tests und Werte schaffen einen Mehrwert für Patienten und Patientinnen und ihre Behandelnden. In Kombination mit PROMs kann die Labordiagnostik zudem eine große Rolle für die Entwicklung personalisierter Medizin einnehmen. Durch gesundheitsbezogene Daten wird der "Patient Journey" mit entscheidungs-

relevanten Daten angereichert. Diese unterstützen die Arzt-Patienten-Kommunikation und können auf beiden Seiten zu einem iterativen Lernprozess führen. So kann sich beispielsweise durch PRO-Daten und Laborwerte frühzeitig eine unerwünschte Nebenwirkung einer medikamentösen Therapie abzeichnen und die Therapie rechtzeitig adaptiert werden. Zudem wird dem Patienten oder der Patientin durch eine kollaborative Kommunikation eine aktive Rolle in der eigenen Heilung zugesprochen.

Anbieter für Labordiagnostik können den Mehrwert ihrer Angebote im Sinne von VBHC darüber hinaus beispielsweise mit den folgenden drei Ansätzen steigern:

1) Eine optimierte Unterstützung des klinischen Personals bei der Auswahl der richtigen Labortests
Die Herausforderung für Behandelnde, den richtigen Test zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer Diagnose auszuwählen, wächst angesichts der großen Angebotsvielfalt und zunehmenden Komplexität. Die Geschwindigkeit, in der neue Erkenntnisse gewonnen und in Innovationen umgesetzt werden, übersteigt menschliche Kapazitäten zur Informationsaufnahme und -verarbeitung. Während eine unüberlegte Auswahl zu falschen Entscheidungen und Mehraufwand führen kann, kann der richtige Test, Ärztinnen und Ärzten eine frühzeitige Einleitung wichtiger Schritte ermöglichen. IT-basierte Lösungen, die Behandelnde bei der Auswahl unterstützen, können so beide Seiten der Value-Gleichung adressieren.

2) Eine angepasste Unterstützung bei der Interpretation der Testergebnisse
Studien zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Erkrankung bei viel genutzten Tests für verbreitete Erkrankungen überschätzen.6,7 Fehleinschätzungen der Aussagekraft von Testergebnissen können zu Überdiagnose und erhöhtem Einsatz limitierter Ressourcen führen. Eine bessere Einordnung der Aussagekraft der Ergebnisse kann z.B. durch KI-basierte Lösungen unterstützt werden. Dies bietet eine Entscheidungshilfe und Ergebnisse können in den Kontext mit anderen Patienten und Gesundheitssystemdaten gesetzt werden, um personalisierte Auswertungen und Empfehlungen zu ermöglichen. Patienten und Patientinnen, die Vertrauen in Testresultate haben, folgen häufiger ihrem Behandlungsplan.8

3) Eine Anpassung von Testverfahren an die Bedürfnisse der jeweiligen Patientengruppe (Point-of-Care-Angebote)
Viele Tests sind aktuell für Patientinnen und Patienten nicht einfach und schnell verfügbar, sondern werden nur in speziellen Praxen oder gar Krankenhäusern angeboten. Insbesondere für ältere, schwer kranke und in ihrer Mobilität eingeschränkte Patientinnen und Patienten können gewisse Tests, die wohnortsnah oder sogar zu Hause durchgeführt werden können und einfach anzuwenden sind, einen Beitrag zum besseren Management der Erkrankung leisten. Durch eine gute Anbindung an die Primärversorgung, beispielweise durch telemedizinische Angebote, können sie sogar Hospitalisierungen reduzieren. Das sogenannte „Point-of-Care-Testing“ hat insbesondere durch die COVID-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen – Analysen prognostizieren ein starkes Wachstum in diesem Bereich.9

Um die Entwicklung solcher VBHC-fördernden Angebote zu ermöglichen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Stakeholdern sowie Vergütungsmodelle, die diese Zusammenarbeit und die Ausrichtung am Patientennutzen stärken. Die Labordiagnostik liefert tagtäglich unzählige Datenpunkte, die zusammen mit anderen Daten das Potenzial haben, personalisierte Lösungen und damit bessere Outcomes zu kreieren, aber auch Gesundheitsbedrohungen von globaler Tragweite wie die COVID-19-Pandemie gezielt zu bekämpfen. Ein effizienter, sicherer Informationsaustausch unter verschiedenen Stakeholdern im Gesundheitswesen ist hier essentiell. Dieser und die Ausrichtung an Qualität statt Volumen kann durch Vergütungsmodelle, die bereits erprobt oder genutzt werden, wie Qualitätsverträge10 oder auch Outcome- bzw. Performance-basierte Risk-Sharing-Modelle, befördert werden.

Eine stärkere Integration der Diagnostik in den Behandlungspfad durch engere Zusammenarbeit mit Behandelnden, Patienten und Patientinnen, aber auch Kostenträgern hat das Potenzial die Gesundheitsversorgung neu zu gestalten. Das Konzept des Patientennutzen als gemeinsamer Nenner aller Stakeholder ist Katalysator für diese Revolution.

Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.

Quellen

  1. Pross C, Busse R & Geissler A (2017). Hospital quality variation matters – A time-trend and cross-section analysis of outcomes in German hospitals from 2006 to 2014. Health Policy 121 (8):842–852.

    https://doi.org/10.1016/j.healthpol.2017.06.009

  2. Porter ME & Teisberg EO (2006). Redefining Health Care: Creating Value-Based Competition on Results. Faculty & Research – Harvard Business School

  3. Weldring, T, & Smith, SM (2013). Patient-Reported Outcomes (PROs) and Patient-Reported Outcome Measures (PROMs). Health services insights, 6, 61–68.

    https://doi.org/10.4137/HSI.S11093

  4. Steinbeck V, Ernst SE & Pross C (2021). Patient-Reported Outcome Measures (PROMs): ein internationaler Vergleich. Herausforderungen und Erfolgsstrategien für die Umsetzung von PROMs in Deutschland. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). https://doi.org/10.11586/2021053

  5. Basch E, Deal AM, Dueck AC, Scher HI, Kris MG, Hudis C & Schrag D (2017). Overall Survival Results of a Trial Assessing Patient-Reported Outcomes for Symptom Monitoring During Routine Cancer Treatment. JAMA.318(2):197-198. doi: 10.1001/jama.2017.7156.

    PMID: 28586821; PMCID: PMC5817466.

  6. Morgan DJ, Pineles L, Owczarzak J, et al. (2021). Accuracy of Practitioner Estimates of Probability of Diagnosis Before and After Testing. JAMA Intern Med.

    181(6):747–755. doi:10.1001/jamainternmed.2021.0269

  7. Austin LC (2019). Physician and Nonphysician Estimates of Positive Predictive Value in Diagnostic v. Mass Screening Mammography: An Examination of Bayesian Reasoning. Med Decis Making. 39(2):108–118. doi: 10.1177/0272989X18823757. Epub 2019 Jan 24. PMID: 30678607.

  8. Vahdat S, Hamzehgardeshi L, Hessam S & Hamzehgardeshi Z (2014). Patient involvement in health care decision making: a review. Iran Red Crescent Med J. 16(1):e12454. doi:10.5812/ircmj.12454

  9. Fortune Business Insights (2020). The global point of care diagnostics market is projected to grow from $41.49 billion in 2021 to $36.21 billion in 2028 at a CAGR of -1.9% in 2021–2028. Zuletzt aufgerufen 31. Januar 2021:

    https://www.fortunebusinessinsights.com/industry-reports/point-of-care-diagnostics-market-101072

  10. IQTIG (2022). Qualitäsverträge. Zuletzt aufgerufen 31. Januar 2022:

    https://iqtig.org/qs-instrumente/qualitaetsvertraege/

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