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Die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) ist in den letzten Jahren weltweit gestiegen. Zwar treten beispielsweise die meisten Neuerkrankungen von Syphilis in Entwicklungsländern auf, doch auch in Deutschland gibt es eine deutliche Zunahme von Chlamydien, Syphilis und weiteren STIs. Um diese Entwicklung zu verstehen und die Rolle der Prävention und regelmäßigen Testung zu beleuchten, sprach die Redaktion mit Dr. Alexander Luyten, Leiter des Dysplasiezentrums Schleswig-Holstein. Im Interview teilt der Experte für STI-Prävention und Aufklärung seine Einsichten zu den Herausforderungen im Umgang mit diesem Thema.

Leiter des Dysplasiezentrums Schleswig-Holstein

Dr. Luyten, Sexualität ist heute ein in Medien, Werbung, Fernsehen und sozialen Plattformen beinahe omnipräsentes Thema. Trotzdem kommt das Thema sexuelle Gesundheit in den Arztpraxen immer noch viel zu wenig zur Sprache, insbesondere, wenn keine akuten Symptome vorliegen. Wo sehen Sie die Gründe dafür und welche Folgen bringt das mit sich?

Dr. Luyten: Das Ansprechen der sexuellen Gesundheit ist tatsächlich für viele Patient:innen – und auch Ärzt:innen! – eine Hürde, besonders in der Erstkonsultation. Zudem denken manche Personen, oft ältere Menschen, häufig einfach gar nicht daran, dass auch sie von sexuell übertragbaren Krankheiten betroffen sein könnten. Grundsätzlich sollte das Thema STI aber zur Sprache kommen, insbesondere wenn sich die Lebensumstände der Patient:innen geändert haben, beispielsweise nach einer Trennung oder bei einer neuen Partnerschaft. Wenn Ärzt:innen gezielt auf die aktuelle Lebenssituation eingehen, kann das auch das Bewusstsein der Patient:innen schärfen. So bietet das Gespräch über persönliche Veränderungen eine gute Gelegenheit, auf das Thema hinzuweisen. Viele erkennen dabei erst, dass eine Infektion nicht nur die eigene Gesundheit betrifft, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf den Partner oder die Partnerin haben kann. Der Arztbesuch kann als Chance für die eigene sexuelle Gesundheit genutzt werden, da eine möglichst frühzeitige Diagnose beiden Partner:innen ermöglicht, eine effektive Behandlung zu finden.

Um rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können, muss das Thema aber erst einmal auf den Tisch. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Klinik gemacht, wie gelingt eine erfolgreiche Ansprache?

Dr. Luyten: In meiner Praxis habe ich die Erfahrung gemacht, dass Patient:innen meistens sehr offen auf das Thema reagieren, sobald ich es anspreche – die Hürde liegt also meist im ersten Wort. Es ist entscheidend, feinfühlig, aber direkt zu sein. Je offener und direkter wir als Fachkräfte damit umgehen, desto größer die Bereitschaft der Patient:innen, eine Testung in Erwägung zu ziehen. Oft ist auch gar nicht das Ansprechen des Themas das Problem, vielmehr die Sorge vor einem möglichen positiven Testergebnis. Deswegen finde ich es persönlich wichtig, im Vorfeld für eine freundliche Atmosphäre zu sorgen und ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, um sachlich über die nächsten Schritte und Behandlungsmöglichkeiten aufklären zu können und etwaige Ängste zu nehmen.

Chlamydien und HPV sind Teil eines Screeningprogramms. Aber wie steht es um andere Erreger? Sollte man die Testung weiterer Erreger in die Screeningprogramme mit aufnehmen?

Dr. Luyten: Grundsätzlich kann man diese Frage mit einem „Ja“ beantworten. In Deutschland sind einige wenige Screeningprogramme auf STI etabliert. Bisher übernehmen die Krankenkassen die Kosten, wenn es bei dir Anzeichen für eine STI gibt oder wenn bei deiner Partnerin oder deinem Partner bereits eine STI festgestellt wurde. Weltweit ist ein Anstieg der sexuell übertragbaren Krankheiten zu verzeichnen, darunter Gonorrhö und Syphilis, deren Testung aktuell nicht in festen Screeningprogrammen enthalten ist. Der aktuelle Anstieg der STIs unterstreicht die Notwendigkeit, diese Infektionen nicht zu unterschätzen, gerade vor dem Hintergrund von Antibiotikaresistenzen. Allerdings müssen wir hier mehrere Aspekte berücksichtigen. Ein generelles Screening für alle wäre sehr ressourcenintensiv und nicht praktikabel, weshalb wir eine gezielte Testung für bestimmte Risikogruppen empfehlen. Dazu zählen unter anderem Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartner:innen, Männer, die Sex mit Männern haben, und Schwangere. Diese gezielten Screenings helfen, Infektionen frühzeitig und kosteneffizient zu erkennen und damit deren Verbreitung zu reduzieren. Und sie verbessern die Präventionsarbeit in gefährdeten Gruppen.

Würde eine bundesweite Meldepflicht für STIs aus Ihrer Sicht helfen, mehr Menschen zur Testung zu motivieren?

Dr. Luyten: Man muss in jedem Fall Vor- und Nachteile abwägen. Eine namentliche Meldepflicht würde nicht nur zu realistischen Fallzahlen führen, es könnte sicherlich auch das Bewusstsein für die Risiken von STIs in der Bevölkerung und bei medizinischem Fachpersonal stärken. Dies könnte also durchaus dazu beitragen, die Ausbreitung der Infektionen einzudämmen und weitere Fälle zu verhindern.

Es gibt aber auch gewichtige Nachteile, die eine solche namentliche Meldepflicht mit sich bringen könnte, zum Beispiel eine ablehnende Haltung von Betroffenen, die eine mögliche Stigmatisierung oder unzureichenden Datenschutz befürchten. Ein anonymes Testangebot, mit anonymer Meldepflicht verbunden, kombiniert mit Aufklärung und Entstigmatisierung wäre in meiner Sicht eine gute Lösung, die Testbereitschaft zu erhöhen und etwaige Ängste vor einem positiven Ergebnis samt möglicher Diskriminierung und Stigmatisierung zu reduzieren.

Sie haben eben die Angst vor einer möglichen Stigmatisierung genannt. Und auch Scham spielt nach wie vor eine große Rolle bei der Testung von STIs. Sollte es deshalb mehr Selbsttests geben, um die Hemmschwelle zu senken und die Testbereitschaft zu erhöhen?

Dr. Luyten: Zunächst einmal ist Stigmatisierung ein Schlagwort. Sicherlich ist sexuelle Gesundheit ein Thema, über das weniger als über andere gesundheitliche Themen gesprochen wird. Andererseits kann eine sexuell übertragbare Infektion, etwa mit Hepatitis B, HPV oder HIV, lebenslimitierend sein – man sollte also nicht aus Scham und Angst die Testung ablehnen und dafür eine unbehandelte Infektion und ihre weitere Verbreitung in Kauf nehmen. Um die Scham zu überwinden, können Selbsttests hier eine wichtige Rolle spielen, besonders für Menschen, die sich unwohl fühlen, direkt zum Arzt zu gehen.

Welches sind die Vor- und Nachteile beim Selbsttesten?

Dr. Luyten: Ein Selbsttest kann helfen, die Hemmschwelle zu senken, aber ohne ärztliche Begleitung besteht die Gefahr, dass Testergebnisse falsch interpretiert werden. Ein unterstütztes Modell, bei dem Selbsttests in Hausarztpraxen mit ärztlicher Nachbesprechung angeboten werden, wäre daher sinnvoll. Kolleg:innen von mir in Hannover haben im Homesampling mit HPV-Tests gute Erfahrungen gemacht: Die Diagnostik hat technisch einwandfrei funktioniert und die Durchführung lief reibungslos. Bei HPV handelt es sich allerdings um eine Infektion, für die es ein Screeningprogramm gibt und die somit ohnehin untersucht wird. Bei anderen STIs stellt sich die Frage, wen man wie adressiert.

Sexuelle Gesundheit betrifft Frauen, Männer und trans/nicht-binäre Personen sowie alle Altersklassen, von jung bis alt. Wo sehen Sie die Herausforderungen bei der Ansprache der jeweiligen Zielgruppe?

Dr. Luyten: Angehörige bestimmter Risikogruppen, wie beispielsweise Männer, die Sex mit Männern haben, sind oft bereits gut informiert – möglicherweise, weil es hier gezielte Kampagnen gibt, die diese Gruppen direkt ansprechen. Häufig mangelt es jedoch an der Ansprache und niedrigschwelligen Angeboten für allgemeinere Zielgruppen oder für ältere Menschen. Personen außerhalb der klassischen Risikogruppen fühlen sich oft wenig betroffen. Daher ist es wichtig, auch diese Gruppen gezielt anzusprechen und leicht verständliche Informationen sowie den Zugang zu Beratungen und Testungen zu ermöglichen. Auch regional gibt es hier Unterschiede: Für Menschen, die in Großstädten leben, ist es sicherlich einfacher, Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen, als wenn man in einem ländlichen Gebiet wohnt. Es gibt aber auch die Möglichkeit einer telemedizinischen Beratung. Einige Krankenkassen bieten beispielsweise eigene Online-Sprechstunden per Video an. Versicherte können so direkt mit Ärzt:innen sprechen. Allerdings ist diese Alternative nicht allen bewusst.

Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht denn notwendig, um den Zugang zur STI-Prävention zu erleichtern und mehr Menschen zur Testung zu bewegen?

Dr. Luyten: Derzeit wird das Thema sexuelle Gesundheit in Schulen meiner Meinung nach nicht ausreichend behandelt. Eine einmalige Thematisierung, wie sie oft stattfindet, reicht meines Erachtens nicht aus – es sollte mehrmals angesprochen werden, zu Zeitpunkten, an denen die Schüler:innen fürs Thema besonders offen sind. Hierzu halte ich es für sinnvoll, dass Fachleute aus dem medizinischen Bereich in den Schulen, etwa im Rahmen von Projektwochen, vorstellig werden und die Problematik möglichst realistisch darstellen. Wichtig wären auch kostenlose Testangebote ohne Rechtfertigungsdruck, warum und auf was man sich testen lässt, sowie Kampagnen in sozialen Medien oder Printmedien, die verschiedene Zielgruppen ansprechen. Wichtig sind dabei auch konkrete Informationen zu den Inkubationszeiten beziehungsweise zu den richtigen Testzeitpunkten. Zudem könnte eine jährliche Sensibilisierung für die Früherkennung und Erkennung von Risikofaktoren durch die Ansprache des Arztes oder der Ärztin unterstützt werden.

Sie arbeiten ja schon viele Jahre im Bereich sexuelle Gesundheit. Wenn Sie eine Wunschliste zu dem Thema schreiben dürften, was darf darauf nicht fehlen?

Dr. Luyten: Ich würde mir wünschen, dass sexuelle Gesundheit und die entsprechende Vorsorge ein fester Bestandteil unseres Gesundheitsbewusstseins wird – so wie man zum Check-Up oder zur Krebsvorsorge geht. Es lohnt sich, das Thema aufs Tapet zu bringen und entsprechende Testangebote zu machen und auszubauen. Je offener wir in unserer Gesellschaft – und auch in unseren Arztpraxen – über sexuelle Gesundheit sprechen, und je zugänglicher die Angebote zu Prävention und Testung gestaltet sind, desto besser können wir die weitere Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten reduzieren und damit erhebliche gesundheitliche Komplikationen verhindern.

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