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Bis 2030 werden einer Studie1 zufolge in Deutschland bis zu drei Millionen Facharbeiter, Techniker, Forscher und medizinische Fachkräfte fehlen. Es verwundert daher nicht, dass dieses Thema in vielen Bereichen der Medizin präsent ist – so auch in der Labormedizin. Es stellen sich dringliche Fragen: Wie und wo lassen sich junge Menschen für die Arbeit im Labor gewinnen? Wie kann man die Attraktivität des MTLA-Berufs steigern? Welche Konkurrenten um qualifiziertes Personal gibt es? Sachkenner aus unterschiedlichen Einrichtungen formulierten bei der Session zum Fachkräftemangel im Rahmen des Symposiums „Diagnostik im Dialog LIVE“ in Eingangsstatements und der anschließenden Gesprächsrunde ihre Vorstellungen und Vorschläge zur (personellen) Zukunftssicherung der Labore (Abb. 1).

Ein Beitrag von den Roche Tagen 2018

„Die Zeiten ändern sich“ – begann der Schirmherr des Symposiums, Herbert Rebscher, seine Anmoderation. „Vor 20 Jahren haben wir von „Ärzteschwemme“ geredet und händeringend versucht, die Überkapazitäten des deutschen Gesundheitswesens nach Schweden und andere Länder zu exportieren. Damals hatten wir pro Kopf weniger Ärzte als jetzt. Heute aber stellen wir einen Fachkräftemangel fest und suchen nach Möglichkeiten, Fachkräfte – vor allem für die Labore – zu gewinnen. Da müssen wir uns schon fragen lassen, ob wir die richtigen Kapazitäten an den richtigen Orten vorhalten. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich die Diskussion um Fachkräfte im Gesundheitswesen bewegt.“

„Wir legen auch in Zukunft Wert darauf, hochmotivierten und hervorragend ausgebildeten Nachwuchs in den Gesundheitsberufen zu gewinnen“, heißt es im Koalitionsvertrag der großen Koalition vom Februar 2018. Darauf verwies Michael Müller und hob vor allem die dort ebenfalls festgeschriebene Schulgeldbefreiung für die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen hervor. Im Rahmen der Verhandlungen mit Gesundheitspolitikern habe der fachärztliche Berufsverband „Akkreditierte Labore in der Medizin e.V.“ (ALM) auf diesen wichtigen Punkt hingewiesen. „Wir müssen der jungen Generation helfen, in ihrem Berufsleben weiterzukommen“, betonte Müller. „Daher hat sich der ALM dafür stark gemacht, dass angehende Medizinisch-technische Laborassistenten (MTLA) wie in anderen Ausbildungsberufen im Rahmen eines Ausbildungsvertrages zukünftig sogar bezahlt werden. So kann sich ein junger Mensch an seinem Lebensunterhalt beteiligen.“ Möglichkeiten zur Veränderung der Ausbildung sieht Müller auch in einer verbesserten Durchlässigkeit zwischen den Berufsgruppen der Medizinischen Fachangestellten (MFA), die vorwiegend in Arztpraxen tätig werden, und den MTLA sowie eine Akademisierungsmöglichkeit für MTLA, wie sie in anderen Ländern der Europäischen Union üblich ist.

Es sei allerdings wichtig, nicht nur die beiden Kernberufe, MTLA und Ärzte, zu betrachten. Bis ein Befund zustande komme, seien viele Berufsgruppen im Labor involviert – unter anderem Administratoren, Programmierer und IT-Spezialisten. „Labore sind Arbeitgeber für vielfältige Fachrichtungen“, betonte Müller. „Um alle diese Berufsgruppen konkurrieren Labore mit nicht-medizinischen Einrichtungen, beispielsweise Pharmaunternehmen. Daher sollten medizinische Labore als Arbeitgeber deutlich sichtbarer und attraktiver werden.“

Welche Einfluss- und Risikofaktoren spielen bei der Entscheidung für oder gegen einen Beruf im Labor eine Rolle? Müller hält es für wichtig, dass Laborkräfte für ihre Qualifikation, ihre Erfahrung und ihre Mitarbeit am Erfolg Wertschätzung erfahren. Dazu gehöre auch, mit modernen Arbeitszeitmodellen Beruf und Privatleben vereinbar zu machen und die Belastung durch Schicht-, Wochenend- und Nachtdienste zu verringern. Auch die voranschreitende Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen im medizinischen Labor trage zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei. Darüber hinaus seien vernünftige gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie gute Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen erforderlich.

Wie lässt sich die Identifizierung mit dem Arbeitsplatz „Labor“ erreichen? „Indem wir uns zusammentun“, unterstrich Müller. Der ALM besucht regelmäßig MTLA- und Berufsschulen sowie neunte und zehnte Klassen und lädt junge Menschen in Labore ein, um ihnen die dort möglichen Berufe vorzustellen. Darüber hinaus kooperiert man mit Universitäten und Ausbildungsstätten, um sich durch Angebote für Praktikanten und Werkstudenten früh an der praktischen Ausbildung zu beteiligen und Bezüge zur Arbeit in einem medizinischen Labor herzustellen. Auch Führungskräfteentwicklung sei wichtig, so Müller: „Wer sind die Laborleiter von morgen? Unsere Labore werden eher größer als kleiner, sie arbeiten eher stärker zusammen als weniger. Das erfordert Fähigkeiten jenseits der fachlichen, die wir in der Ausbildung lehren.“

Für das Bild eines attraktiven Arbeitgebers brauche es eine gute Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Fachgesellschaften und zeitgemäße Werbekampagnen (z. B. Nachwuchsportale und Erklärfilme), um junge Menschen für Tätigkeiten im Labor zu begeistern.

Abb. 1: Experten der Gesprächsrunde „Mangel an Fachpersonal“

Ramona Dolscheid-Pommerich sieht den gegenseitigen Austausch als wichtiges Bedürfnis junger Kolleginnen und Kollegen im Labor. Dabei gehe es sowohl um fachliche als auch um persönliche Themen, um Vernetzung und Gespräche über Karriereperspektiven. „Austausch ist ein elementarer Baustein in jeder Weiterbildung. Obwohl die beruflichen Perspektiven in der Labormedizin vielversprechend sind, entscheiden sich viele junge Menschen nicht dafür – es fehlt an Austauschmöglichkeiten.“ Dolscheid-Pommerich forderte dazu auf, Nachwuchsarbeit konsequent voranzutreiben, Kommunikationsplattformen aufzubauen und insgesamt die Sichtbarkeit der Labormedizin zu erhöhen. „Unser Tätigkeitsfeld gestaltet sich ungemein vielseitig und spricht mit seinen zahlreichen Facetten verschiedene Menschen an. Wir müssen uns daher fragen, was junge Kolleginnen und Kollegen im Einzelnen beschäftigt, um sie dort abholen zu können.“

Und wie erreicht man diejenigen, die sich noch nicht für das Fach Labormedizin entschieden haben? Das erläuterte DolscheidPommerich am Beispiel der Studierenden der Humanmedizin. Um sie für die Labormedizin zu interessieren, müsse man die ersten Kontakte mit dem Labor nutzen, spätestens aber im Pflichtfach im Rahmen des Studiums. „Nachwuchsarbeit fängt sehr früh an. Unsere Aufgabe ist es, die Studierenden neugierig zu machen, das Berufsbild des Labormediziners gut zu vermitteln und die Labormedizin klar als das herauszustellen, was sie ist: ein Fach stets am Puls der Zeit mit hohem Technisierungsgrad und interdisziplinärem Arbeiten, das Querschnittsfach, auf dem Diagnostik und Therapieentscheidungen in hohem Grad beruhen.“ Das gelinge vor allem durch eine engagierte Lehre, aber auch mit strukturierten Laborpraktika, Workshops und Seminaren. „Viele Fachkräfte haben den Weg in die Labormedizin über wissenschaftliches Arbeiten und Promotionen gefunden. Forschungsförderung kann somit den Einstieg ermöglichen und eine langfristige Bindung an das Fach schaffen“, so Dolscheid-Pommerich.

Matthias Orth zufolge hat die Labormedizin in der jetzigen Form eine gute Zukunft: als eindeutig ärztliches Fach, patientennah, patientenorientiert, mit hochqualifiziertem Personal und rechtlich fest verankert. „Personalmangel darf nie ein Grund sein, das Niveau zu senken. Wir müssen gewisse Standards einhalten. Dazu sind wir gegenüber unseren Mitarbeitern und Patienten verpflichtet.“ In den neuen Studiengängen sehe er allerdings Herausforderungen. „Einige Universitäten haben eine SelbstAkkreditierung. Sie entwickeln eigene Studiengänge wie Molekulare Medizin und behaupten gegenüber ihren Studenten, dass ihnen damit alle Berufe im Krankenhaus und in der Diagnostik offenstehen – das stimmt aber nicht. Diese jungen Menschen investieren viel Geld und Arbeit in Studienabschlüsse, mit denen sie am Ende nichts anfangen können.“

Als Problem nannte Orth auch die zunehmende Präferenz höherer Bildungsabschlüsse. Wenn immer häufiger das Abitur als notwendige Voraussetzung für den MTLA-Beruf gefordert werde, schließe das motivierte Menschen mit Realschulabschluss aus. Der hohe Numerus clausus in der Humanmedizin wiederum zwinge Menschen mit dem Wunsch, Medizin zu studieren, oft den Umweg über die MTLA-Ausbildung auf, die meisten blieben aber nicht in der Labormedizin.

"Niveau-Probleme" gebe es auch mit der automatischen Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse innerhalb der EU. Herkunfts- und Zielland haben ihre jeweiligen nationalen fachärztlichen Bezeichnungen gelistet, Inhalt und Dauer absolvierter Weiterbildungen werden verglichen. Bei Abweichungen oder Lücken müssten zusätzliche Prüfungen oder zusätzliche klinische Tätigkeiten eingefordert werden. In der Realität jedoch würden Berufszulassungen oder Approbationen wegen des Ärztemangels häufig nur nach Prüfung der Papierform und Sprachprüfungen erteilt. „Das ist eine fatale Entwicklung, weil wir dadurch Gefahr laufen, dass das Niveau der Ärzte insgesamt absinkt“, warnte Orth. „Wir müssen unsere Standards halten. Daher sollten wir uns unbedingt dafür einsetzen, dass die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen auf einer Von-Fall-zu-Fall-Basis beibehalten wird.“

  • Motivierte Menschen mit Realschulabschluss als „Zielgruppe“ besser berücksichtigen

  • Bezahlte Ausbildung der MTLA

  • Höhere Durchlässigkeit zwischen den Berufsgruppen MTLA und MFA

  • Option zur Akademisierung der MTLA-Ausbildung analog zu anderen EULändern als Ergänzung der derzeitigen Ausbildung in MTLA-Schulen

  • Deutschlandweite Vereinheitlichung der Ausbildungsaufsicht und Ausbildungsstruktur für eine höhere räumliche Flexibilität bei Berufseintritt

  • Etablierung von Mentoren zur Begleitung der Schüler in die Praxis O Systematische Weiterentwicklung der Ausbildung mit mehr Praxisanteil hinsichtlich zunehmender Automatisierung und Digitalisierung

  • Systematische Weiterentwicklung der Ausbildung mit mehr Praxisanteil hinsichtlich zunehmender Automatisierung und Digitalisierung

  • Verpflichtende Fortbildungen der MTLA

  • Frühes Heranführen an die Arbeit im Labor: Kontaktaufnahme in höheren Schulklassen, MTLA- und Berufsschulen; Kooperationen mit Universitäten und Ausbildungsstätten für Bereitstellung praktischer Ausbildung (Praktikanten, Werkstudenten); Nutzung der ersten Laborkontakte im Rahmen der humanmedizinischen Ausbildung

  • Wertschätzung der Arbeit im Labor und angemessene Bezahlung

  • Moderne Arbeitszeitmodelle zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie zu Verringerung von Schicht-, Wochenend- und Nachtdiensten

  • Transparenz zu Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten, zeitgemäße Führungskräfteentwicklung

  • Zeitgemäße Werbekampagnen für das Bild eines attraktiven Arbeitgebers, zur besseren Sichtbarkeit der Labormedizin und zur Imagesteigerung

  • Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten für junge Kolleginnen und Kollegen ermöglichen/fördern

  • Forschungsförderung

  • Anpassung der Bedarfsplanung für Vertragsärzte

  • EU-weite Anerkennung von Berufsabschlüssen standardisieren, um das Niveau der Labormedizin zu bewahren

Christiane Maschek gab einen Überblick über die MTLA-Ausbildung in Deutschland. Danach sind MTLA mit mehr als 98 000 Beschäftigten (Stand: 2016) die drittgrößte Berufsgruppe im Gesundheitswesen und fast 70% arbeiten in der Labormedizin. Die Beschäftigtenzahlen nehmen weiter zu – allerdings bei gleichbleibender Zahl der Ausbildungsstellen. „Momentan bilden wir gerade noch genügend MTLA aus, um die Berufsfelder abzudecken – unter der Prämisse, dass alle Absolventen im Berufsfeld bleiben und der Dropout aus den MTLASchulen abnimmt“, sagte Maschek. „Das wird allen Prognosen zufolge anders werden: In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden 22% der heutigen MTLA in Rente gehen. Der jetzt schon beginnende Fachkräftemangel an MTLA wird sich daher verstärkt fortsetzen.

Der Übergang von Ausbildung zum Beruf werde erschwert durch starre Gesetze. Sie gälten seit über 25 Jahren für einen Beruf, der einem rasanten technischen Wandel unterliege. Die Aufsicht der Ausbildungen in Deutschland liegt in der Zuständigkeit unterschiedlicher Ministerien oder Ämter auf Länderebene, z. B. dem Kultusministerium in einem, dem Arbeitsamt im anderen Bundesland. Die Schulen müssen sich an Rahmengesetzgebungen halten und sind inhaltlich dazu noch sehr unterschiedlich strukturiert. „Es gibt keine bundeseinheitlichen Standards“, betonte Maschek. „Daher kann ein Schulabgänger in Frankfurt nicht ‚mal eben‘ nach Hannover wechseln.“ Darüber hinaus fehle es an Mentoren, um die Schüler in der Praxis zu begleiten. Das führe zu Unmut bei Schülern, Lehrern und Kooperationspartnern.

„Nicht zuletzt angesichts der fortschreitenden Digitalisierung sollten wir uns die Frage stellen: Wohin geht die Reise? Wir müssen unsere Ausbildungen systematisch weiterentwickeln“, forderte Maschek. Das Bildungssystem sei nicht mehr vergleichbar mit dem von vor 20 Jahren. Realschüler verfügten über ein anderes Selbstverständnis und anderes Wissen, beispielsweise weil naturwissenschaftliche Fächer nur noch epochal (zeitweise) unterrichtet würden. Dazu kämen sinkende Abgängerzahlen an allgemeinbildenden Schulen und ein attraktives, vielfältiges Angebot an Studiengängen. „Mit unseren komplexen und weiter steigenden Qualifikationsanforderungen an medizinisch-technisches Verständnis steht die heutige, nicht angepasste MTLA-Ausbildung nicht im Fokus von Realschülern, Abiturienten und Bachelorstudenten mit ihren veränderten Fähigkeiten und Vorstellungen“. Die jungen Leute der „Digital Natives“-Generation hätten ein anderes Verhältnis gegenüber Lernen und Arbeiten. Personalkonzepte müssten daher an die jungen Menschen von heute adaptiert werden.

Angesichts steigender Ökonomisierungszwänge und Kürzungen bei Weiterbildungen müsse man sich auch überlegen, wie das Wissen in den Laboren bewahrt werden könne. Maschek schlug verpflichtende Fortbildungen vor, denn: „Es geht nicht mehr, dass es in unserer schnelllebigen Zeit MTLA gibt, die noch nie an einer Fortbildung teilgenommen haben. Wir brauchen eine hochwertige Ausbildung auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.“ Darüber hinaus sollte der Praxisteil mehr Raum einnehmen, um beispielsweise mit Hilfe von Kooperationspartnern Schüler auch an automatisierte Prozesse und die Informationstechnologie heranzuführen. Ein möglicher Ansatz wäre auf der einen Seite, nach zwei Jahren Basisausbildung eine Praxisphase folgen zu lassen, in der Kooperationspartner der MTLA-Schulen verstärkt als Wettbewerbspartner fungierten und Absolventen übernehmen könnten. Auf der anderen Seite sollte die Ausbildung zusätzlich ein integriertes oder anschließendes Studium zur biomedizinischen Analytik ermöglichen.

In seinem Schlusswort forderte Herbert Rebscher die Verantwortlichen zum Handeln auf: „Lassen Sie uns nicht pessimistisch an das Thema Fachkräftemangel herangehen. Wir sollten einfach die Dinge angehen, die wir diskutiert haben: die Attraktivität der Laborberufe steigern, sie bekannter machen – und vor allem tolle Beispiele der Berufsausübung und die Wertschöpfung für Patienten in den Mittelpunkt stellen.“

Quellen

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