Erschienen am {DATE} von {AUTHORS} in den Kategorien {CATEGORIES}

Anfang des Jahres startete das „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ mit dem Ziel, deutsche Kliniken digital aufzurüsten und sie damit fit zu machen für die Zukunft. Insgesamt 4,3 Milliarden Euro stellen Bund und Länder dafür bereit. Wo aber liegen genau die Chancen der Digitalisierung von Krankenhäusern? Wo stehen wir bereits und wo hakt es noch?

Ein Beitrag von Dr. Markus Thalheimer, Leitung Qualitätsmanagement und Medizincontrolling, Universitätsklinikum Heidelberg

Dass digitalisierte Prozesse den Krankenhausalltag maßgeblich erleichtern können, steht wohl außer Frage. Immer mehr ältere Menschen müssen ärztlich begleitet, chronische Erkrankungen behandelt und strukturschwache Gebiete versorgt werden. Medizinische Innovationen sind teuer und gutes Personal rar. Mithilfe digitaler Lösungen können wir den Herausforderungen, die die Zukunft mit sich bringt, besser begegnen. Digitalisierung bietet uns die Möglichkeit, große Datenmengen besser zu bewältigen, schneller und ortsunabhängig zugänglich zu machen und dabei einen hohen Qualitätsstandard zu gewährleisten – zum Wohle des Patienten.

In einigen Bereichen des Krankenhausalltags hat die Digitalisierung bereits Einzug gehalten: Bei uns am Universitätsklinikum Heidelberg funktioniert beispielsweise die Dokumentation und Weitergabe von Befunden heute schon weitgehend papierlos. Verschiedene Systeme spielen inzwischen gut ineinander und die Medienbrüche haben abgenommen. Auch viele medizinische Geräte sind bereits in das Krankenhausinformationssystem (KIS) integriert, so dass z. B. Sonografie- oder CT-Bilder elektronisch gespeichert und abgerufen werden können. Dadurch sind auffällige Befunde direkt allen Nutzern zugänglich. Die Digitalisierung der Krankenhausprozesse hat für unser Personal demnach zwei entscheidende Vorteile: die sofortige Verfügbarkeit von medizinischen Informationen für alle Beteiligten und den niedrigeren Informationsverlust. Wir haben diesen Informationsverlust vor einiger Zeit näher untersucht und herausgefunden, dass in unserer Erhebung rund sechs Prozent aller Papierbefunde bei Bedarf nicht sofort zugänglich waren und sich, wenn überhaupt, erst nach längerem Suchen wieder einfanden. Demgegenüber ist der Anteil nicht verfügbarer digitaler Befunde verschwindend gering.

Für die Patienten bedeutet diese Entwicklung ein deutliches Plus an Sicherheit und Komfort. So müssen sie zum Beispiel bisher ihre Krankheitsgeschichte vielerorts jedes Mal aufs Neue schildern, wenn sie sich auf mehreren Stationen vorstellen. Wir arbeiten an einer Digitalisierung dieser Anamnese, wodurch sie allseits sofort einsehbar ist. Das ist für die Patienten nicht nur bequemer, sondern beugt auch einem eventuellen Informationsverlust vor. Richtig spannend wird die Digitalisierung aber, wenn die Systeme mit „aufpassen“, dass nichts schiefgeht. So können elektronische Verordnungsprogramme für Medikamente im Hintergrund prüfen, ob eventuell Laborwerte des Patienten eine Dosisveränderung oder gar das Stoppen eines Medikamentes erfordern und den Mitarbeiter dann warnen.

Doch stoßen wir an vielen Stellen noch schnell an die Grenzen unserer Digitalisierungsmöglichkeiten. Ein typisches Beispiel dafür ist das Entlassmanagement: Arztpraxen können digitale Arztbriefe oft noch nicht einsehen, da ihnen der Zugang zum entsprechenden IT-System fehlt. Deshalb werden die Briefe im Krankenhaus meist auf Papier ausgedruckt und den Patienten mitgegeben oder als Brief versandt.

Häufig behindern auch die strengen Datenschutzauflagen unsere digitalen Lösungen. Wir haben in Heidelberg und Umgebung mit unserem ISIS-System schon vor Jahren eine eigene elektronische Patientenakte eingeführt. Darin haben wir die Krankenhäuser der Region mit Arztpraxen vernetzt und an das KIS angeschlossen. Ziel war es, die Patientenversorgung effektiver und einfacher zu machen. Allerdings gestaltet sich die Einhaltung der Datenschutzvorgaben noch mühsam, da der Patient für jedes Krankenhaus, jede Praxis und jeden Befund sein Einverständnis geben muss. Bei allem Verständnis für die Sicherstellung des Datenschutzes: Diese Prozesse sind eindeutig überreguliert!

Auch innerhalb des Krankenhauses bringt die Digitalisierung neue Herausforderungen mit sich. So sind digitale Befunde sofort einsehbar – auch dann, wenn sie vom Arzt noch nicht als freigegeben markiert wurden. Hier gilt es, sicherzustellen, dass zum Beispiel Therapieentscheidungen nicht auf der Basis solcher vorläufigen Befunde getroffen werden.

Manchmal sind es aber auch die ganz trivialen Dinge, die die Digitalisierung noch blockieren. So können Hardware oder gar das Klinik-WLAN Abläufe limitieren. Was hat der Arzt von digitalisierten Röntgenbildern, wenn das Laden der Aufnahmen während einer Visite aufgrund einer schlechten Funkverbindung mehrere Minuten dauert?

Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung der Digitalisierung. Die Ausgaben, die notwendig sind, um neue IT-Systeme zu installieren, refinanzieren sich nur zum Teil. Um diesen großen Kostenblock stemmen zu können, hat der Gesetzgeber Zuckerbrot und Peitsche ausgepackt: Er hat den Krankenhäusern zwar eine Unterstützung zugesagt. Wenn diese bis zum Jahr 2025 die förderfähigen digitalen Dienste nicht eingeführt haben, sind jedoch Strafzahlungen fällig.

Viele unserer Prozesse können mit dem Digitalisierungstrend heute noch nicht Schritt halten. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Patientenkurve, also der Dokumentationsbogen, auf dem Vitalparameter, Medikationen und andere Messgrößen täglich erfasst werden. Die Digitalisierung der Patientenkurve ist äußerst komplex, vor allem, weil sie Schnittstellen zu vielen unterschiedlichen Subsystemen voraussetzt. Diese Verknüpfung der unterschiedlichen Datenquellen funktioniert bisher noch nicht reibungslos.

Wenn es uns gelingt, alle Subsysteme miteinander zu verbinden – angefangen von der IT zur Patientenversorgung bis hin zu den Systemen zur Medikamentenbestellung und -abrechnung – dann entsteht ein maximaler Mehrwert. Und dann können auch in einem großen Krankenhaus wie dem Universitätsklinikum Heidelberg Klinikpersonal und Patienten deutlich und spürbar von der Digitalisierung profitieren. Die Kunst daran ist die Vernetzung!

Digitale Systeme können „mitdenken“: Elektronische Verordnungsprogramme für Medikamente prüfen eventuelle Dosisänderungen auf Basis der Laborwerte des Patienten und warnen gegebenenfalls.

Und nicht zuletzt die Frage: Wer setzt all die Veränderungen um? Die Digitalisierung eines Krankenhauses ist ein gewaltiger Change-Prozess, eine Mammutaufgabe, die für die Beteiligten zunächst einmal mit einem erheblichen Mehraufwand und mit Unsicherheiten verbunden ist. Viele Mitarbeitende müssen geschult oder gar umgeschult werden – das ist personalintensiv und über eine gewisse Zeit mit erhöhten personellen und zeitlichen Ressourcen verbunden. Und Zeit ist knapp im Krankenhausalltag. Aus diesem Grund finden viele Mitarbeitende die Auseinandersetzung mit neuen Systemen und IT-Lösungen als lästige Zusatzaufgabe oder gar als Belastung. Oft ist Digitalisierung für sie noch ein Mehraufwand an Dokumentation, die „Belohnung“ in Form von Arbeitserleichterungen winkt dann erst am Ende des Prozesses. Hier ist Motivation gefragt.

Werden manuelle Tätigkeiten durch IT-Systeme ersetzt, dann werden personelle Ressourcen frei. Manche Mitarbeitende befürchten womöglich den Wegfall ihres Arbeitsplatzes. Es ist wichtig, diese Befürchtungen auszuräumen, den Kolleginnen und Kollegen die Sorge zu nehmen und ihnen die Vorteile der Digitalisierung aufzuzeigen. Manche Tätigkeiten werden wegfallen, dafür kann man an anderer Stelle womöglich neue Schwerpunkte setzen. Lässt sich beispielsweise der Aufwand für das Schrei-

ben eines Berichtes mithilfe von digitalen Lösungen reduzieren, dann können Kapazitäten freigesetzt werden, die wir für patientennahe Tätigkeiten nutzen können.

Nach unserer Beobachtung haben die Mitarbeitenden ihre Vorbehalte gegen die Digitalisierung von Krankenhausvorgängen inzwischen verloren und sehen ihre Notwendigkeit und ihr Potenzial. Auch die Coronakrise hat dazu beigetragen, dass die Akzeptanz für digitale Lösungen gestiegen ist. Es gibt im Gegenteil auch einige Mitarbeitende, die den Umgang mit Smartphone, Tablet und anderen IT-Werkzeugen aus dem privaten Alltag gewohnt sind und sich fragen, warum Digitalisierung im Krankenhaus ein so langwieriges Unterfangen ist. Auch hier ist Information und Aufklärung gefragt. Wichtig ist, dass wir alle Mitarbeitenden auf dem Weg in das digitale Krankenhaus mitnehmen.

Auf dem Weg zum digitalen, zukunftsfähigen Krankenhaus haben wir schon einiges erreicht – und wir werden noch viel mehr erreichen können. Es wird mehr und mehr Cloudlösungen, KI-Anwendungen (KI = künstliche Intelligenz) und Gesundheits-Apps geben, die die Patientenversorgung erleichtern. Wichtig ist, dass wir dabei nicht vergessen: Digitalisierung bedeutet nicht, dass wir alle Informationen, die wir früher auf Papier dokumentiert haben, nun in den Rechner eingeben. Digitalisierung bedeutet die Reorganisation komplexer Prozesse. Wir müssen neben der technischen Ausstattung auch Zuständigkeiten und Qualifikationen von Mitarbeitenden komplett neu organisieren. Bis wir das geschafft haben, wird es noch eine ganze Weile dauern.

Bitte beachten Sie, dass wir aktuell den Internetauftritt des Magazins "Diagnostik im Dialog" aktualisieren. Aus diesem Grund finden Sie hier im Moment keine vergangenen Artikel des DiDs. In den nächsten Tagen werden Sie wieder in unserem DiD-Archiv stöbern können.

Melden Sie sich zum Newsletter an und erhalten Sie direkt die Neuigkeiten aus der Diagnostik in Ihr Postfach.

Links zu Websites Dritter werden im Sinne des Servicegedankens angeboten. Der Herausgeber äußert keine Meinung über den Inhalt von Websites Dritter und lehnt ausdrücklich jegliche Verantwortung für Drittinformationen und deren Verwendung ab.